Dienstag, 22. Oktober 2013

Oma Sonntag sagt...

"Wasch dir das Gesicht und zieh' eine frische Unterhose an, wenn du zum Arzt gehst. Man kann nie wissen." Was genau man in diesem Zusammenhang nie wissen kann, weiß ich nicht, möchte ich mir auch nicht ausmalen. Nicht bei meiner Oma. Ob sie dabei an den allgäuer Arzt dachte, mit dem sie während der Landverschickung in den 40-ern eine Affäre hatte, wegen der sie Opa Sonntag  am liebsten lieber jetzt als gleich in die Berliner Steinwüste geschickt hätte, das aber nicht gemacht hat, weil sie dann ihre Tochter an ihn verloren hätte, kann ich nicht beurteilen.

Möglicherweise war das ja auch vor dem Hintergrund damaliger Körperhygienestandards ein echt wichtiger Rat, weil die Unterhose sonst abends nur mal flüchtig ausgelüftet, im Ernstfall auch mal abgeklopft und am nächsten Tag wieder angezogen wurde. Das ging dann bis zum nächsten Waschtag so.

ODER sie meinte damit schlicht, dass man im Leben immer auf alles gefasst sein muss und wenn es einen dann trifft - was auch immer - soll man vorbereitet sein. Das heißt, der Situation würdevoll begegnen und dabei gut riechen. Wahrscheinlich hat sie aus demselben Grund die Wohnung immer erst dann verlassen, wenn nirgends mehr ein Stäubchen lag und alles hübsch ordentlich war. Schließlich könnte sie unterwegs sterben und infolgedessen Fremde ihre Wohnung betreten. Die sollten sie dann ehrbar im Gedächtnis behalten und nicht als "Schlampe".

Das Unerwartete immer erwarten, sogar die Möglichkeit des eigenen Ablebens bei jedem Einkauf auf der Liste haben und bei alledem noch das Vermächtnis im Auge zu behalten - das ist mal Gegenwärtigkeit. Angespannte Gegenwärtigkeit, aber immerhin. Es tut nicht so, als ob das Leben planbar und unendlich ist, sondern es versucht nur, bei allem das Gesicht zu wahren. Auch posthum. Toll.

Irgendwas davon ist wohl über die Generationen zu mir geschwappt, denn bevor ich mir heute Kind Nr. 1 geschnappt habe, um seine Backenzähne beim Dentisten versiegeln zu lassen, habe ich mir flugs selbst nochmal die Zähne geputzt. Man kann ja nie wissen. Prompt saß ich dann selbst auf dem Stuhl und die Lampe leuchtete in jede Ritze meiner Mundhöhle. Boah, Oma, du hattest ja so Recht. Aber die Putzerei vor dem Einkauf werde ich mir auch in Zukunft schenken. Sollte ich unerwartet sterben, mache ich die Kinder für das Chaos verantwortlich. Das wird jeder verstehen. Wenn nicht, ist es dann auch egal.

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