Montag, 12. Januar 2015

Facebook folgt mir. Und dir auch!



Wer sich ab dem 30. Januar 2015 bei Facebook einloggt, willigt automatisch in die neue Datenschutzrichtlinie des Unternehmens ein. Die besagt, dass Facebook von diesem Tag an nicht nur wie bisher Informationen aus dem Nutzerprofil und den damit verbundenen Apps, Spielen und Anzeigen sammelt und auswertet, sondern seine Mitglieder auch beim Surfen außerhalb des sozialen Netzwerkes beobachtet. Widerspruch ist nicht möglich. 

Bewerkstelligt wird die gezielte Verfolgung der Nutzer durch die Technologie eines eigenständigen Facebook-Tochterunternehmens, dem Werbenetzwerk Atlas Solutions, LLC. Der Dienst wurde ursprünglich von Microsoft gegründet und stellte Firmen - ähnlich wie Google - im ganzen Internet Raum für Anzeigen zur Verfügung. Facebook hat das Unternehmen im Jahr 2013 gekauft und die Plattform grundlegend überarbeitet. Jetzt soll Atlas nach eigenen Angaben in der Lage sein, Personen im Netz zielsicher zu identifizieren und mit individuell zugeschnittener Werbung zu versorgen, ihre Wirkung auf den potenziellen Kunden zu analysieren und so Schritt für Schritt zu verbessern.
Was sich zunächst recht harmlos anhört, hat es aber in sich. Wer die Datenrichtlinien bei Facebook liest, könnte meinen, dass das soziale Netzwerk seine eigenen Anzeigen künftig einfach nur auf andere Internetseiten ausweitet und man das Problem löst, indem man die Werbung ausblendet. Das kann man tun. Es verfehlt aber den Kern des Problems. Denn Atlas sammelt die Daten unbeeindruckt weiter, verzichtet lediglich darauf, dem Nutzer „seine“ Anzeigen zu präsentieren. 

Was ist neu?

Bisher fiel es Cookies und Co. grundsätzlich schwer, dem Nutzer zu folgen, sobald der die Geräte wechselte. Die kleinen Spähdateien können nicht vom Desktop-Rechner auf das Smartphone und umgekehrt wechseln. Eine gute Mischung von Laptop, Smartphone oder Tablet und der Gebrauch unterschiedlicher Browser haben also geholfen, die Identität des Nutzers einigermaßen zu verschleiern. Atlas bleibt aber immer am Mann bzw. an der Frau: Der Dienst überwindet diese Hardware-Barrieren und folgt dem Nutzer geräteunabhängig und personenbezogen durch die digitale Welt, sammelt dort eifrig Informationen über die Websites, die er besucht, Streamings, die er betrachtet, welche Anzeigen von Interesse sind, Besuchszeitpunkt  und Aufenthaltsdauer im angeklickten Shop.

Wie funktioniert das?

Ähnlich wie Google-Werbeanzeigen platziert Atlas Werbung im gesamten Internet. Diese Anzeigen erkennen Facebook-Mitglieder anhand ihrer Nutzerkennnummer. Diese Kennnummer wird einmalig bei der ersten Anmeldung in dem sozialen Netzwerk vergeben. Sie diente bisher unter anderem dazu, das Verhalten der Mitglieder innerhalb Facebooks zu verfolgen. Nun nutzt Atlas genau diese Nummer, um Facebook-Mitglieder im Netz zu identifizieren und sie bei ihren Spaziergängen durch die bunte digitale Welt auf Schritt und Tritt zu begleiten, zuzuschauen, welche Interessen sie haben, wo sie Einkaufen, was sie kaufen, ob sie bevorzugt Schnäppchen machen oder auf Qualität achten - alles ist interessant und wird gesammelt. Denn je mehr Atlas weiß, desto gezielter kann Werbung platziert werden. Gibt es Kinder? Ein Einkauf von Kinderbekleidung, Spielzeug oder Ratgeberliteratur verrät es. Gibt es Eheprobleme? Vielleicht, weshalb sollte sich eine „verheiratete“ Person sonst auf Single-Börsen tummeln? Vielleicht ist auch ein neuer Wagen fällig, weil sich die Suchanfragen nach Werkstätten häufen. Die neuen Facebook-Richtlinien ebnen den Weg, um genau diese Informationen über das Verhalten im Netz mit den Daten aus dem Facebook-Profil zu verbinden. Ein Eldorado für Werbetreibende. Entblößend für Nutzer.

Welche Informationen sammelt Atlas?

In seinen Richtlinien beschreibt Atlas sein Vorgehen wie folgt: Wird dem Nutzer eine Werbeanzeige aus dem Atlas-Netzwerk präsentiert, werden dauerhafte Cookies oder vergleichbare Technologien auf dem Endgerät platziert. Diese kleinen Dateien erkennen bei jeder weiteren Anzeige aus dem Atlas-Netzwerk die so gekennzeichneten Geräte immer wieder. Bei jedem Treffen werden mindestens folgende Informationen gesammelt oder abgeglichen: Die IP-Adresse des Endgerätes, die Kennnummern der darauf abgelegten Cookies, individuelle Identifikationscodes, die mit dem Browser oder Endgerät verbunden sind, den Browser-Typ und die auf ihm eingestellte Sprache und das Betriebssystem. Das bewegt sich noch im Rahmen dessen was viele andere Anwendungen im Netz auch tun. Ebenso registriert Atlas die URL der jeweils betrachteten Seite oder der genutzten App sowie die genaue Anzeige, die auf der betrachteten Seite oder App platziert ist, zusammen mit Datum und Zeitpunkt ihrer Präsentation. Darüber hinaus merkt sich das System auch, welche Produkte und Angebote der Werbepartner auf der Anzeige zu sehen waren. Klickt der Nutzer auf die Anzeige, wird auch diese Aktion von Atlas gesammelt und gespeichert. Ebenso wie Suchbegriffe, die der Nutzer in Suchmaschinen eingibt. Diese zunächst noch nicht personalisierbaren Daten werden mit Informationen aus dem Facebook-Netzwerk verknüpft. Hier erfährt Atlas auch, mit welchen Kontakten man bevorzugt kommuniziert. Bei Online-Einkäufen in den Shops der Werbepartner werden zusätzlich noch mindestens folgende Daten ergänzt: Alter, Geschlecht oder Postleitzahl des Einkäufers. Je häufiger ein Facebook-Mitglied also Seiten besucht, die durch Atlas beworben werden, desto differenzierter wird das Profil. Es entsteht nach und nach ein digitales Abbild der realen Person im Netz, das ihrer Kontrolle vollkommen entzogen ist. Genau das ist gefährlich und widerspricht dem Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung.
 
Was kann man tun?

Wer sich vor so viel Neugierde schützen will, muss vor dem 30. Januar handeln. Die sicherste, aber vermutlich auch die schmerzlichste Lösung besteht darin, sein Facebook-Profil zu löschen. Wer das nicht übers Herz bringt, sollte radikal alle persönlichen Angaben löschen, die sich löschen lassen: von Beziehungsstatus und Verwandtschaftsverhältnissen über Heimat- und aktuellen Wohnort bis hin zu Handynummern, Schulabschlüssen, oder Arbeitgebern.
Außerdem besteht die Möglichkeit, auf den Seiten der Network Advertising Initiative (NAI) oder der Digital Advertising Alliance (DAA) dem Atlas-Netzwerk seine Einwilligung zur Ausspähung per „opt-out“ zu entziehen. Beides sind Zusammenschlüsse von Werbetreibenden, die sich gewissen ethischen Richtlinien verpflichtet fühlen - Google und AOL gehören neben Facebook und Atlas beispielsweise auch dazu. Ein paar Englischkenntnisse sind nötig, aber der Vorgang ist einfach. Folgt man dem Link, durchsucht die geöffnete Seite den Browser nach Cookies oder ähnlichen Markierungen, die zur personenzentrierten Werbung nötig sind. Ist die Suche abgeschlossen, erscheint eine Liste der Firmen, die den jeweiligen Browser schon markiert haben. Per Häkchen kann man schließlich die unerwünschten Begleiter dann kennzeichnen und entfernen. Leider muss man diesen Vorgang nach jedem Browser Update und jedem Löschen der Cookies wiederholen, denn bei diesen Prozessen werden auch die schützenden Cookies gelöscht. Wer die Spione ausgeschaltet hat, sieht zwar noch weiterhin Werbung, diese fußt aber nicht mehr auf den Daten, die beim Surfen gewonnen wurden.

Donnerstag, 8. Januar 2015

Digitaler Selbstmord

Den Facebook-Account zu löschen, fühlt sich an wie Selbstmord.
Dabei sind das doch nur ein paar Bilder und Sprüche. Oder?
Ich habe es wirklich getan. Krass! Wahnsinn! War aber eigentlich ganz leicht. Vielleicht ein bischen wie Bungee. Es hat gekribbelt im Bauch und in den Fingern, der Puls ging einen Takt schneller, aber sonst ist gar nichts passiert. Dabei habe ich vorher tagelang mit mir gerungen und fieberhaft nach einer Hintertür gesucht, um diesen letzten, endgültigen Schritt zu vermeiden. Ich habe meine Arbeit, meinen Haushalt und meine Kinder - ja sogar meinen Ehemann - vernachlässigt, um belastbare Gründe zu finden, es nicht zu tun. Am Ende war das aber vergebens. Die Kiste war alternativlos. Ich habe meinen Facebook-Account gelöscht. 

Mit einem Klick war mein digitales Ich eliminiert und mit ihm der kurzweilige Kontakt zu 86 Freunden. Ich kannte alle persönlich - für die Natives: Ich bin diesen Leuten mehrmals analog begegnet, bevor es zu einer gezielten Freundschaftsanfrage auf Facebook kam. Klar - die anderen wie JenZz Oo oder El Ba gab es vorübergehend auch. Sie wurden aber schon zu einem weit früheren Zeitpunkt ins virtuelle Nirvana geschickt. 

Mein Account bestand seit Montag, dem 27. Oktober 2008 um 21:06 UTC+01. Das weiß ich so genau, weil ich mein Profil heruntergeladen habe und damit nun schwarz auf weiß die vielen Informationen überblicken kann, die ich Facebook ganz freiwillig überlassen habe. Angesichts dieser gespenstisch lückenlosen Dokumentation der letzten sechs Jahre beschleicht mich der Verdacht, dass ich schon viel früher hätte aussteigen sollen. Denn obwohl ich keine Intimitäten, Kinderfotos, Schmollmundbilder oder Urlaubsfotos gepostet habe, meinen Wohnsitz sowie Ausbildung etc. verschwieg, ergibt die Akte ein ziemlich exaktes Bild meiner Persönlichkeit. Und meiner Nutzungsgewohnheiten. Ich besitze jetzt eine vollständige Liste aller Logins und Logouts der letzten sechs Jahre, mit Datum, Uhrzeit, IP-Adresse, Browsertyp inklusive Versionskennung sowie der Bezeichnung des gesetzten Cookies. Das diese Informationen aufgezeichnet werden, war mir vorher schon klar. Ich habe es aber verdrängt. Warum eigentlich? Weil ich nicht aussteigen wollte. Ich wollte weiter mitmachen. Aber warum, wo es doch kein Geheimnis ist, dass die jedes Profil bis in die Chats durchleuchten und die ausgewerteten Daten lukrativ an ein Heer von Werbekunden verkaufen?

Zunächst ist die Sache ja sehr unterhaltsam. Man bekommt täglich eine lange Liste mit kurzweiligen Informationen frei Haus, die einem das Gefühl vermitteln, voll am Puls der Zeit zu sein, sich für trendige Sachen zu interessieren und auch selbst interessante Sachen zu machen. Selbst wenn man in der tiefsten Provinz lebt und Briefmarken sammelt. Es kommt eben nur auf die richtige Kameraperspektive an. Stimmt die, hat sogar ein neuer Maulwurfshügel einen gewissen Nachrichtenwert. Ich spreche da aus Erfahrung. Darüber hinaus kann man sich mit den zahllosen Newsfeeds ganz bequem über die neuesten Häkelmützen oder die brandaktuellen Geschehnisse in der Welt informieren. Selbstverständlich wählt man dazu die Medien, die einem am meisten liegen. Weil auch die Nachrichtenmacher Likes brauchen, posten selbst seriöse Medien wie die Zeit oder die Süddeutsche gerne solche Themen, über die man geteilter Meinung sein kann. Das ist man dann auch promt und schon geht's los: Fakten überlassen Meinungen das Feld und münden flugs in persönliche Beleidigungen. Immer. Eine recht frühe Erkenntnis bestand daher darin, dass Facebook nicht der richtige Ort ist, um sich zivilisiert in der Sache auseinanderzusetzen und andere Standpunkte zu respektieren. Hier herrscht Faustrecht. Meistens habe ich die Kommentare anderer gelesen und viel Zeit damit zugebracht, mich darüber zu ärgern. Nicht, weil sie meiner Meinung widersprechen, sondern weil sie beleidigend, meistens bar jeglichen Arguments dafür aber umso nachdrücklicher formuliert waren. Facebook bietet eine offene Bühne, die es jedem erlaubt, seine Selbst- und Weltwahrnehmung laufend zu bestätigen und Widerspruch hemmungslos niederzumachen. Ein virtueller Spiegel mit eingebautem Watschenaugust. Das ist doch was. Also ich fand's toll.

Aber warum habe ich mich dann gelöscht?

Es gibt zwei Gründe: Der Auslöser war die zum 30. Januar 2015 angekündigten Änderung der Datenschutzrichtlinien, die beinhalten, dass die Plattform mein Surfverhalten auch außerhalb Facebooks ausspäht, auswertet und die zusätzlichen Informationen zusammen mit meinen Profildaten an Werbetreibende verkauft. Wer sich ab dem 30. Januar einloggt, gibt dem Unternehmen automatisch die Erlaubnis dazu. Widerspruch ist nicht möglich. Juristen zweifeln die Rechtmäßigkeit des Vorgehens an. Aber das hilft nichts. Man kann die Datensammlung auch nicht mit ein paar Häkchen in den Privatsphäre-Einstellungen abstellen. Man kann dort nur verhindern, dass einem die Werbung tatsächlich angezeigt wird. Die Datensammlung findet trotzdem statt. Diese weitreichende Ausspähung meiner privaten oder beruflichen Webstreifzüge ist für mich inakzeptabel. Sie verstößt noch gröber als bisher gegen das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung, weil ich nicht mehr wissen und beeinflussen kann, wer wann welche Daten über mich hat und zu welchem Zweck er sie nutzt. Vielleicht fließen meine Musikvorlieben demnächst in ein Bonitätsscoring ein? Hard Rock, Independent und Metall sind da wahrscheinlich nicht von Vorteil. Wer mehr über die neuen AGBs wissen will, kann sich hier schlau machen. Facebook selber gibt natürlich auch Auskunft, lenkt aber mit beschönigenden Formulierungen wirkungsvoll von der ungeheuren Dreistigkeit des Unterfangens ab. Ich bevorzuge daher folgende Artikel: 

Der zweite Grund für die endgültige Vernichtung meines digitalen Selbst ist ein psychologischer. Er ist in seiner Wirkung durchaus mit kaltem Entzug vergleichbar. Ich setze mich dem aber aus, weil alle sanfteren Methoden versagt haben: Es wird eine große Leere und eine starke Verzweiflung über mich kommen, möglicherweise begleitet von körperlichen Erscheinungen wie einem unsteten Blick, fahrigen Wischbewegungen auf meinem Smartphone oder diffuser Unruhe. Vermutlich werde ich erst langsam wieder lernen müssen, meine Zeit mit sinnvollen Dingen zu füllen oder mich einem einzigen Thema länger als zwei Minuten zu widmen. Der Aufenthalt auf dieser Plattform übt einen immensen Sog aus, dem ich mich schlecht entziehen konnte. Zig mal am Tag ein prüfender Blick, ob es Neues gibt - gibt es immer. Wer hat wie auf meine Beiträge reagiert? - Keiner. Totaler Frust ist dann Programm, gefolgt von der rastlosen Suche nach spannenderen Sachen. Beim Blick in die Welt poppt ständig eine Idee auf, was ich als nächstes posten könnte. Geschieht nichts, stelle mich mit der Kamera auf die grüne Wiese und warte auf den nächsten Maulwurfshaufen. Dabei klicke ich mich durch kreative Bildergalerien und teile das. Ich ärgere mich über blöde Kommentare zu Zeitungsartikeln, rassistische Posts, gähne kräftig über das hundertste Reisefoto mit Strand, Cocktail und Plamen, vertue Zeit mit der Lektüre sehr vieler Artikel zu sehr vielen Themen und stelle am Ende des Tages verzweifelt fest, dass ich unglaublich unproduktiv war. Weil es ja soviel zu gucken gab. 

Diesen Zeitfresser bin ich jetzt also los. Ebenso wie das schleichende Gefühl, ständig manipuliert zu werden. Und zwar gerade durch den Newsstream der genau aus dem besteht, was ich selbst abonniert habe. Aber eben nur aus dem. Und ich sehe auch nur die Freunde, mit denen ich sowieso schon oft interagiere. Die anderen sind gewöhnlich verborgen. Die Algorithmen liefern mir das, womit sie auf der Grundlage meiner Daten glauben, mir eine Freude machen zu können. Wenn die Algorithmen glauben könnten. Tun sie aber nicht. Sie folgen blind simplen mathematischen Regeln.

Meinen Freunden werde ich wieder analog begegnen. Oder per SMS. Da liest wenigstens nur der BND mit und die NSA. Aber wehe, wenn die auch Werbung schalten. Dann steige ich aus!