Mittwoch, 28. Mai 2014

Pop pop poppeldipoppeldipositiv positiv, nicht negativ

oder 
Über Engel und Dämonen

oder
Für Frau Müller!

 
Oh Mann! Jaaaaa! Lass' die Sonne rein! S-S-S-Sonne rein! Sonne rein!

 Könnt Ihr euch eigentlich auch noch an diesen unglaublich positiven Song der Fantastischen Vier erinnern? Ja? War das der Soundtrack zu eurem Abi, zum ersten Semester, zur Zivi-Zeit? Cool! Dann gehört ihr zu meiner Generation, also den Älteren. Diejenigen, die zumindest damals in der Lage waren, dem Highspeed-Text akkustisch UND semantisch zu folgen, konnten daraus unglaublich wertvolle Impulse für das eigene Leben bekommen. Doch - echt jetzt: Geld nicht überzubewerten, die Meinung anderer Leute eher unterzubewerten und sich selbst grundsätzlich zu mögen. So wie man ist. Und was Cooles draus zu machen. Auch wenn man diese Botschaften nicht jedes Mal wirklich mitgeschnitten hat, ist eins immer geblieben: Gute Laune. Wer sich nicht mehr so richtig erinnern kann, sollte sich das Lied nochmal anhören. Und dazu, was Smudo & Co. mit Engeln und Dämonen zu schaffen haben, komme ich später.

Wie ich auf das Lied gekommen bin? Ganz einfach: Bei dem aktuellen Wetter sind positive Gedanken GANZGANZ wichtig, um nicht depressiv zu werden. Aber nicht nur bei diesem Wetter. Sondern im Leben allgemein. Denn da kann es von Zeit zu Zeit auch ganz schön pissen. Braucht gar keinen akuten Anlass. Eigentlich reicht es ja schon, sich sein Leben anzugucken und es mit den Träumen von einst zu vergleichen. Also, ich weiß nicht, wie das bei euch so ist, aber für mich birgt das immer größtes Unwetterpotenzial. Der Soll-Ist-Vergleich zwischen dem Plan und gelebter Wirklichkeit sieht immer Scheiße aus bietet da und dort Optimierungspotenzial.

Zum Beispiel bin ich nicht König geworden. Das war eine Zeit lang wirklich mein absoluter Traumberuf. Immer mit schicken Klamotten in Kameras lächeln, unglaublich viele Leute an interessanten Orten treffen und hübsch wohnen, ohne sich darum kümmern zu müssen. Und wenn mal was nicht klappt, jemand anderem die Schuld dafür geben. Toll! Leider passte ich nicht in die Erbfolge. Ein Sachverhalt, an dem man nichts ändern kann und an dem keiner Schuld hat. Schade. Aber gut. Denn damit konnte ich die Sache auch in Würde begraben.

Ganz anders ist das mit den Dingen, die einem wirklich am Herzen liegen und aus denen bis heute nichts geworden ist. Ideen, die man mal hatte. Wünsche, etwas Außergewöhnliches zu tun. Ich meine jetzt nicht Ideen wie "Oh, heute gehe ich mal in Flipflops arbeiten" oder "Ich wünschte, es wäre Freitag". Die sind auch nett, aber bedeutungslos. Ich meine die Ideen und Wünsche, die das Potenzial haben, ein Leben zu verändern, ihm eine ganz andere Richtung zu geben. 

Stark, oder?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder mal eine Idee, einen Traum oder ein Projekt hatte, von dem er begeistert war, das ihn gedanklich Tag und Nacht beschäftigt hat und das bestimmt auch gut war. Jedenfalls Irgendwie. Erinnert ihr euch an eures? Ja? Na bitte! Denkt noch mal ganz fest daran - an dieses unglaublich beflügelnde Gefühl, etwas wirklich Aufregendes zu tun, bei dem das Herz schneller schlägt und man fühlt, dass das Leben gut ist: die Welt zu umrunden, zum Südpol zu reisen und dort den Sommer zu verbringen. Mit einem Kanu den Amazonas entlang zu paddeln, ohne von Tieren gefressen zu werden. Einen Film zu drehen, ein eigenes Modelabel zu gründen, einen Frisör-Salon zu eröffnen und ihm einen total kreativen Namen zu verpassen, ins Guinnes-Buch der Rekorde zu kommen. Eine Familie mit zehn Kindern zu gründen oder mit dem Marmeladenrezept der Großmutter ein Vermögen zu machen. 

Leider hat man aber nichts davon gemacht. Also ich jedenfalls nicht.

Warum eigentlich nicht? Weil es wichtigere Dinge gab: Die Schule/Ausbildung/Uni zu Ende machen, zum Beispiel. Dann musste man erst mal im Beruf Fuß fassen und sich beweisen. Der ganze Kram halt. Das andere musste warten.

Oder?

Klar - es gibt diese beschissenen Sachzwänge. Das ist richtig. Man muss essen, wohnen, schlafen, für die Brut sorgen. Das alles kostet Nerven und Geld. Letzeres muss sollte man verdienen. Also arbeiten. Aber dennoch bleibt immer ein Entscheidungsspielraum, in dem man sich aktiv und tatsächlich für oder gegen einen Traum entscheiden kann. In. Jedem. Moment. Des. Lebens. Ich habe das bisher nicht gemacht. Nicht, weil ich keine guten Ideen hatte. Davon hatte ich schon Millionen. Fragt dazu mal Herrn Zumbrechenflexibel. Der wird euch vor eine virtuelle Regalwand mit meinen "total spannenden Projekten" stellen und gähnend sagen, ihr könntet euch eins aussuchen und mitnehmen, es seien ja genug da. Keins davon habe ich jemals auch nur angefangen. Weil keine Zeit, weil zu groß, weil dann auch schon wieder out. Nein. Nicht wirklich. Eigentlich weil ich Schiss hatte.
 
Warum? Und jetzt kommt die Sache mit den Engeln und Dämonen. Spannend, oder? Nennen wir sie vereinfachend "in der Regel unsichtbare Schicksalsmächte", die das Leben der Menschen in eine gute oder schlechte Bahn lenken, segnen oder verfluchen, beistehen oder töten. Ob es die jetzt tatsächlich gibt, sei dahingestellt. Die beschriebene Wirkung aber ist real. Und zwar durch das gesprochene Wort anderer Menschen. Das ist so ungemein kraftvoll, dass es mit einem Satz Projekte töten kann. Das muss noch nicht einmal so eine klare Ansage sein wie "Nee - lass das mal lieber. Du kannst eh' nichts und das Projekt ist voll idiotisch. Werde besser Buchhalter". Es reicht schon, ganz vernünftig auf die bekannten Risiken hinzuweisen. "Einkommenseinbußen", "Rentenlücke", "krummer Lebenslauf" sind da vollkommen ausreichend. Oder Hinweise auf die schlechten Erfolgsaussichten, bereits bestehende ähnliche Projekte, die große Konkurrenz, die grausamen Spielregeln im "Haifischbecken", in dem nur die Härtesten überleben, sind auch gut oder die ganz offen formulierte Frage, ob man sich das denn auch wirklich gründlich überlegt habe und sich das zutraue. Soviel zum Fluch.

Jetzt mal zum Segen - und das spannt den Bogen zurück zu den Fanta 4: Es ist genauso so leicht, mit ehrlich gemeinten, guten Worten, Dinge ins Leben zu heben. Indem man das Gute sieht und anspricht. Bei anderen und sich selbst. Oder mal einfach ein Kompliment macht, wenn einem jemand begegnet, der es verdient hat - für ein außergewöhnliches Outfit, schönes Auto, schräges Hobby, cooles Fahrrad, lange Haare, witzige Wortwahl, gute Arbeit, freundliche Ansprache, Mitgefühl zur rechten Zeit, Zeit zur Unzeit, eine Blume am Lenkrad in einer sonst öden Umgebung. Das tut so gut - beiden - und kostet gar nichts.

So. Und jetzt: Das Lied.

Lass' die Sonne rein

Samstag, 17. Mai 2014

Kääääääährwoch...

Es gibt fundamentale Einsichten, die bleiben dem Großstädter leider komplett verschlossen. Also zumindest denen außerhalb Baden-Württembergs. Für die wirklich tiefgreifenden Erkenntnisse des Menschen und seiner Psychologie muss man einfach in die Provinz, weil es nur dort die notwendigen Rahmenbedingungen gibt. Soziale Kontrolle zum Beispiel, die allein dadurch entsteht, dass man sich kennt und sich obendrein noch ständig begegnet. Schon das wäre in Städten wie Hamburg oder Berlin vollkommen undenkbar. Hier dagegen ist das normal. Man achtet eben aufeinander und nimmt regen Anteil am Leben der Anderen, kümmert sich. Das schließt Rücksichtnahme auf die Empfindungen seiner Mitmenschen natürlich ein. Zum Beispiel, indem man seine FREIZEIT dafür opfert, um das Trottoir fein sauber zu halten. Verstehe ich im Herbst, wenn hinterfotziges, nasses Laub die Gebrechlichen niedermäht oder Schnee und Eis dasselbe mit allen anderen tut. Verstehe ich nicht zu allen anderen Zeiten. Seien wir doch mal ganz ehrlich und pragmatisch: Was kümmert mich der Gehweg vor meinem Haus? Den sehe ich etwa zweimal am Tag und nehme ihn dann noch nicht mal richtig wahr. Außerdem machen die Hunde da Pippi. "Das sieht aber doch viel einladender aus, wenn es schon draußen so schön sauber ist - wie eine Art Visitenkarte", könnte man einwenden. Wäre das bei uns so, würden Besucher, die sich darauf verlassen haben, spätestens im Entree ihr blaues Wunder erleben und schleunigst die Flucht ergreifen. Gehweg fegen - soweit kommt's noch! Da kann ich ja gleich den Keller wischen und die Lichtschächte putzen. Die Schwaben haben da einen Begriff für, der mich Zeit meines Lebens gleichzeitig in ungläubiges Staunen versetzt und massive Fluchtreflexe ausgelöst hat - ihr wisst schon, welchen ich meine, oder? Klar - die Käährwoch. Kehrwoche. Eine Tradition, die selbst ignorante Zugezogene turnusmäßig dazu zwingt, sich in Jogginghose und Latschen zu schmeißen, um in großem Stil außer Haus den Besen zu schwingen. Wer kneift, bekommt Besuch. Und zwar einen, der die Regeln kennt und sie dem Unwissenden gerne in aller Eindringlichkeit nochmals persönlich erklärt. Diese in breiten Teilen der Bevölkerung akzeptierte Ordnungsgängelung war für mich immer ein maßgeblicher Grund, niemals einen Fuß in diese Region zu setzen. Zumindest nicht als Bewohner. "Das ist jetzt aber kleinlich, total ignorant - was spricht denn dagegen, sich mal fremden Kulturen und Gebräuchen zu öffnen?" "Nichts. Es spricht aber auch nichts dafür. Also nicht in diesem Fall und nicht für mich." Um es kurz zu machen: Die Rituale der Kehrwoche waren mir immer ein großes Mysterium. Was, um alles in der Welt, treibt Leute dazu, sich zum Zeitvertreib gegenseitig mit dem Besen um den Block zu jagen, denselben zu säubern und Pflanzen aus den Ritzen der Gehwegplatten zu popeln, die allein schon für das ambitionierte Vorhaben, die exakten Formsteine zu durchdringen, einen Orden verdient hätten. Wäre in Berlin vollkommen undenkbar. Wer sich in Kreuzberg auf dem Trottoir anschickt, die Pflanzen aus den Fugen zu zerren, bekommt wahrscheinlich sofort Ärger mit dem Gartenamt oder wird von irgendwelchen Frutariern gebläut, die Gewalt gegen Pflanzen verteufeln. Fegen ist da wegen der Hundehaufen sowieso undenkbar, es sei denn, man will dem Bürgersteig mal einen neuen Anstrich verpassen. Heute hat sich mein Blick auf die Dinge geändert. Weil ich sie verstanden habe. Ich bin sozusagen in sie eingetaucht und habe sie bis ins Letzte durchdrungen. Ich habe nämlich heute selbst unser Trottoir gefegt, die Pflanzen entfernt und alles schön sauber gemacht. Aber WARUM??? Ganz einfach: Weil die Nachbarn die Straße hoch das auch gemacht haben. Heute Vormittag. Bis gestern sah es überall gleich aus: ein bisschen zerbröseltes Laub auf etwa 1,5 Metern Breite, das sich gerne an den Füßen gigantischer Löwenzahnpflanzen sammelt und dort in Verbindung mit ein bisschen Hundepippi vor sich hin gammelt. Dann haben die Straßeaufwärts'ns das Zeug penibel weg geputzt. Ergebnis: Bei uns sah es scheiße aus. Naja. Und bei den Nachbarn Straße abwärts. Da hat es mich gepackt: Nachdem wir schon den ganzen Herbst, Winter und das halbe Frühjahr die rote Müll-Laterne hatten, wollte ich sie jetzt an unsere Nachbarn weiterreichen. Und habe es schön gemacht. Das ist der ganze Trick: Ein Streber fängt an und alle anderen ziehen nach, um nicht als Saubande dazustehen. Und die, die es diesmal nicht geschnallt haben, sind nächstes Mal die Ersten. Ganz sicher. Außerdem hat das Fegen etwas Meditatives, man kommt so in den Flow. Und denkt nach. Und erkennt Dinge, die anderen verborgen bleiben. Fragt mal Beppo den Straßenfeger.