Mittwoch, 11. Dezember 2013

Hausfrauen sind doof. Und faul.


Ich bin keine Hausfrau. Und ich bin keine Karrierefrau. Ich sitze mit zwei Kindern und meiner Freiberuflichkeit irgendwie zwischen allen Stühlen, habe mich dort aber ganz gut eingerichtet. Ich kann einige Stunden am Tag einer mittelmäßig anspruchsvollen Erwerbsarbeit nachgehen, die mir Spaß macht und mir das gute Gefühl gibt, nicht nur irgend so eine Hausfrau zu sein, die ihr Leben damit vertut, sich um Mann und Kinder zu kümmern, den Haushalt zu schmeißen und die, wenn noch Zeit übrig ist, liebevoll noch ein paar Dekoartikel zusammenzuschustert, auf’s ordentliche Regal räumt und das Ganze „ein zu Hause bereiten“ nennt.

Mal ehrlich - wer von uns modernen Frauen guckt da nicht ein bisschen schräg von oben runter, wenn eine von sich sagt, sie mache das gerne, habe auch sonst beruflich keine Ambitionen und sehe ihren Lebensschwerpunkt darin, es sich selbst und ihrer Familie möglichst schön zu machen. Mit dem Geld ihres Mannes.

WAS??? Echt jetzt? Ich weiß nicht wie es euch geht, aber mich beschleicht da gleich so ein leicht mitleidiges Gefühl, weil ich insgeheim denke, da verkauft sich eine unter Wert, vergeudet ihr Potenzial, macht sich zum würdelosen und jederzeit ersetzbaren Dienstpersonal der restlichen Familie. Denn - so meine diffuse Annahme - wer das freiwillig macht, der hat entweder nichts gelernt, was eine erfüllendere Alternative dazu darstellt oder ist einfach zu faul, um sich dem harten Berufsleben zu stellen. 

Krasse Unterstellung, oder?

Entweder zu doof oder zu faul.

Hausfrauen halt. Unzeitgemäße Auslaufmodelle. CSU-Wählerinnen. Oder B-Ware.

Ich kann nichts dagegen machen, das ist einfach so auf meiner Festplatte. Wer das da einprogrammiert hat, lasse ich jetzt mal offen. Mein Programm zur Weltwahrnehmung sagt mir jedenfalls, dass Hausfrauen dämlich sind. Und deswegen ist es mir persönlich auch unglaublich wichtig, eben keine faule, doofe Hausfrau zu sein, die morgens mal eben die Kinder fertig macht, und sich den Rest des Tages mit so total dämlichen Sachen wie sauberer Wäsche, aufgeräumten Zimmern, vollem Kühlschrank und angenehmem Ambiente befasst. Und später dann den Knaller der Sinnlosigkeit abfeuert: Sich am Nachmittag noch um die nicht vollkommen hirnlose Beschäftigung der Kinder kümmert. Sie also zum Basteln, zum Schwimmen oder zu Freunden bringt, Hausaufgaben kontrolliert, Salzteig oder andere gebastelte Weihnachtsgeschenke für die Oma macht, kindische Streitereien schlichtet, Abendessen macht und vor dem Schlafengehen der Brut noch zeitgemäße Hygienestandards durchsetzt. Wie gesagt: Doof, faul und das Leben mit Trivialitäten verschwendend.

Stopp! Was sage ich da eigentlich?

Ich will jetzt mal sagen, was Sache ist: Eigentlich bin ich nämlich diejenige, die total doof ist, diesen Spagat tatsächlich jeden Tag zu machen. Denn dabei bleiben irgendwie alle Sachen dilettantisch und obenhin. Fragt mal meine Schwiegermutter, was die von „meinem“ „Haushalt“ hält. Und meine Texte könnten auch besser sein, wenn ich nicht dauernd übermüdet wäre, mir noch eine endlose Agenda von Schule und Kindergarten im Kopf umherschwirrte, soziale Pflichten zu erfüllen und zu guter Letzt noch die drei Tonnen Erde aus unserem Auto zu entfernen wären, um die Höchstbeladung nicht schon im Leerzustand zu erreichen.

Hier die Kernbotschaft. Hausfrauen sind gar nicht doof. Auch nicht faul. Die haben - wenn es gut läuft - nämlich auch einen echt harten 40- bis 50-Stunden-Job, der lohntechnisch vom flächendeckenden Mindestlohn noch meilenweit entfernt ist. Das ist doof. Interessiert nur keinen. Und damit jetzt mal ein für alle Mal klar wird, was die so alles machen - rund um die Uhr willige Klagemauer für die ewigen Meckereien der Kinder sein mal nicht mitgerechnet - hier eine kurze Job Description. Ihr könnt sie gerne ergänzen:

  • schmutzige Wäsche aus allen Zimmern sammeln, im Wäschekorb zwischenlagern, sortieren, in den Keller tragen, dort die schlimmsten Flecken vorbehandeln, waschen, anschließend aufhängen, im trockenen Zustand optional bügeln, zusammenfalten, wegsortieren und wenn man gerade sowieso in den einzelnen Zimmern vorbeikommt, die neue Wäsche direkt wieder einsammeln und in den Wäschekorb legen. 
  • Klos putzen
  • Waschbecken putzen
  • Badewannen, Duschtassen, Spülbecken putzen
  • aufräumen
  • Fenster putzen lassen
  • Staub wischen
  • Treppen fegen
  • Böden wischen
  • aufräumen
  • Teppiche saugen
  • idealerweise vor dem Saugen: 3 Millionen Kleinteile wieder zurück in Perlenkisten, Playmobil-Schiffe, Polly-Pocket-Häuschen, Autokisten, Kaufmannsläden, Bücherregale, Bastelschubladen, Dino-Kisten, Murmelsäcke, Pfeifenschränke, Toilettenschränke räumen.
  • danach eine Stunde vergeblich versuchen, wieder eine aufrechte Haltung anzunehmen
  • aufräumen
  • Korrespondenz mit Versorgern, Banken, Versicherungen, Vermietern, Handwerkern, Schulen, Kindergärten, Ärzten Musikschulen, Schwimm- und Sportvereinen, Bastelgruppen sowie sehr vereinzelt auch privaten Bezugspersonen führen, dokumentieren und sinnvoll abheften.
  • wenn man einen Garten hat: Rasen mähen, Laub rechen, Unkraut jäten, Blumen gießen, Maulwürfe ersäufen verjagen
  • aufräumen
  • Kinder wecken, anziehen, befrühstücken, Pausenbrote und Getränke zurecht machen, ganz wichtig: die dann auch einpacken, zur Schule/in den Kindergarten bringen, dort Sachen einsammeln. Nachmittags abholen, bespaßen und abends wieder füttern, sauber machen und zur Ruhe bringen. Zwischendurch bemeckert werden, Sachen suchen, Sachen reparieren, Sachen vor Zerstörung schützen, zum 500.Mal „Räuber Hotzenplotz“ hören
  • Betten frisch beziehen
  • Bettwäsche in den Keller bringen, dort waschen, trocknen, zusammenfalten und wieder in die Schränke sortieren
  • bei Magen-Darm die Schüssel halten
  • bei Geburtstagseinladungen die Geschenke besorgen.
  • Geschirr spülen UND wieder wegräumen
  • aufräumen
  • kochen, backen
  • aufräumen
  • einkaufen
  • Geschichten vorlesen
  • Buden bauen
  • mit Autos, Dinos, Puppen spielen
  • aufräumen
  • malen, schnippeln, kleben, kneten
  • Müll rausbringen
Jetzt mal ehrlich: Die machen doch echt nix, die Hausfrauen. Voll doof. Da arbeite ich lieber. Zusätzlich. Das gibt wenigstens Geld. Und Anerkennung. Und ist grundsätzlich weniger Stress.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Oma Sonntag sagt...

"Wasch dir das Gesicht und zieh' eine frische Unterhose an, wenn du zum Arzt gehst. Man kann nie wissen." Was genau man in diesem Zusammenhang nie wissen kann, weiß ich nicht, möchte ich mir auch nicht ausmalen. Nicht bei meiner Oma. Ob sie dabei an den allgäuer Arzt dachte, mit dem sie während der Landverschickung in den 40-ern eine Affäre hatte, wegen der sie Opa Sonntag  am liebsten lieber jetzt als gleich in die Berliner Steinwüste geschickt hätte, das aber nicht gemacht hat, weil sie dann ihre Tochter an ihn verloren hätte, kann ich nicht beurteilen.

Möglicherweise war das ja auch vor dem Hintergrund damaliger Körperhygienestandards ein echt wichtiger Rat, weil die Unterhose sonst abends nur mal flüchtig ausgelüftet, im Ernstfall auch mal abgeklopft und am nächsten Tag wieder angezogen wurde. Das ging dann bis zum nächsten Waschtag so.

ODER sie meinte damit schlicht, dass man im Leben immer auf alles gefasst sein muss und wenn es einen dann trifft - was auch immer - soll man vorbereitet sein. Das heißt, der Situation würdevoll begegnen und dabei gut riechen. Wahrscheinlich hat sie aus demselben Grund die Wohnung immer erst dann verlassen, wenn nirgends mehr ein Stäubchen lag und alles hübsch ordentlich war. Schließlich könnte sie unterwegs sterben und infolgedessen Fremde ihre Wohnung betreten. Die sollten sie dann ehrbar im Gedächtnis behalten und nicht als "Schlampe".

Das Unerwartete immer erwarten, sogar die Möglichkeit des eigenen Ablebens bei jedem Einkauf auf der Liste haben und bei alledem noch das Vermächtnis im Auge zu behalten - das ist mal Gegenwärtigkeit. Angespannte Gegenwärtigkeit, aber immerhin. Es tut nicht so, als ob das Leben planbar und unendlich ist, sondern es versucht nur, bei allem das Gesicht zu wahren. Auch posthum. Toll.

Irgendwas davon ist wohl über die Generationen zu mir geschwappt, denn bevor ich mir heute Kind Nr. 1 geschnappt habe, um seine Backenzähne beim Dentisten versiegeln zu lassen, habe ich mir flugs selbst nochmal die Zähne geputzt. Man kann ja nie wissen. Prompt saß ich dann selbst auf dem Stuhl und die Lampe leuchtete in jede Ritze meiner Mundhöhle. Boah, Oma, du hattest ja so Recht. Aber die Putzerei vor dem Einkauf werde ich mir auch in Zukunft schenken. Sollte ich unerwartet sterben, mache ich die Kinder für das Chaos verantwortlich. Das wird jeder verstehen. Wenn nicht, ist es dann auch egal.

Montag, 14. Oktober 2013

Ungefragte Frau aus dem Call-Center:

Anruf auf dem Handy:

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: "Guten Tag, Frau - ähm - Zum - äääh - Frau Zumbrechen - äh - flexibel?!  Habe ich das jetzt richtig ausgesprochen?"

Ich: "Naja - ..."

Ungefragte Frau aus dem Call-Center (vorwurfsvoll): "Ist aber auch ein ziemlich komplizierter Name..."

Ich: "Sie hätten es auch fast gehabt."

Ungefragte Frau aus dem Call-Center (total gelangweilt): "Ja. Also - äh - Frau Zumbechernflexibehl - Sie sind ja eine treue Kundin von uns."

Ich denke an die üblen Telefonate, Pannen und ärgerlichen Zusatzkosten, die durch deren Fehler unsere Kommunikation wirkungsvoll für drei Wochen gekappt haben und frage mich, ob die sich heute einfach mal die döfsten Kundenihrer Kartei vorgenommen haben, um diese mit sinnlosen aber kostenpflichtigen Zusatzangeboten zu bedenken und mein Puls schnellt auf 387.

Ungefragte Frau aus dem Call-Center (beeindruckend modulationsfrei): "Und weil wir 25-jähriges Jubiläum feiern, wollen wir unseren TREUEN Kunden..."

Wenn sie das mit den treuen Kunden nochmal sagt, werde ich ausfallend.

Ungefragte Frau aus dem Call-Center (reinigt sich dem Tonfall nach gerade die Fingernägel): "...an unserer Freude teilhaben lassen..."

Ich kann mich vor Aufregung kaum noch halten.

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: "...und Ihnen heute einfachmal eine SIM-Karte KOSTENLOS  zuschicken."

Ich erinnere mich an die letzten "kostenlosen" 60 Euro, mache ein grimmiges Gesicht und lasse sie weiterreden. Ich beginne MEINE Fingernägel zu reinigen.

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: "Sie können damit für - äh - einen MONAT! kostenlos in alle Handynetze Telefonieren und bekommen noch eine Internatflat über 500 MB dazu!"

Ich überlege kurz, ob ich sie darauf hinweisen soll, dass eine Flatrate ein Datenlimit eigentlich ausschließt, wenn man es ganz genau nimmt, schließlich gibt es ja auch keine auf zehn Jahre begrenzte Ehe - lasse das dann aber, weil dieses Thema sicher ihr Antwortendiagramm sprengt und sie vor lauter Schreck vermutlich wieder bei meinem Namen anfängt. Das wäre schlecht.

Ungefragte Frau aus dem Call-Center:  "Ich lege die SIM Karte noch heute in die Post. Wie finden Sie das, Frau ...

NEIN!

Ich (schnell): "Was kostet das denn nach dem Monat?"

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: "Das kostet Sie dann nur Neuneuroneunundneunzig pro Monat - und weil Sie eine TREUE KUNDIN sind, bekommen Sie sogar noch drei Gratismonate dazu! Wie hört sich das an?"

Das hört sich irgendwie nach totalem Nepp an und außerdem hat sie mich schon wieder TREUE Kundin genannt. Ich möchte hiermit kündigen.
Ich: "Ich bin aber schon seit Jahren TREUE KUNDIN bei der Konkurrenz, habe gerade verpennt, zu kündigen und deswegen noch ein weiteres Jahr gebunden."

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: "Und was zahlen Sie da?"

Ich: "Das geht Sie doch überhaupt nichts an."

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: "Aber ..."

Ich: "Ich bin an keiner SIM-Karte interessiert."

Ungefragte Frau aus dem Call-Center: ist weg.

Samstag, 5. Oktober 2013

Kulturkonstante

Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Die bleiben immer gleich - egal, wo man sich aufhält, mit wem man sich umgibt und in welchem Jahrhundert man sich zufällig befindet. Bei den ersten beiden liegt das wohl daran, dass man sich selbst ja immer mitnimmt und damit ein großer Teil der Situation konstant bleibt. Das Dritte allerdings ist ein großes Mysterium - Dinge, die über Generationen gleich bleiben, ohne Ansehen der Person. Ich rede jetzt nicht von grundlegenden menschlichen Eigenschaften wie Rachsucht, Grausamkeit und Eitelkeit oder dem ganzen Kram. Ich meine ganz konkrete Dinge, die ganz anders sein könnten, tatsächlich aber immer gleich sind, sobald die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Wie die Tatsache, dass die Einkaufstüten für Tiefkühlprodukte immer an der Wand der Kellertreppe hängen, wenn es einen Keller gibt. Bei meiner Oma gab es darüber noch eine Ablage für gereinigte Klarsichttüten aus der Fischabteilung von Huma - das war in den 70ern und frühen 80ern sowas wie die Metro für Privatpersonen.
Der Wocheneinkauf bei Huma hatte immer ein großes Highlight, nämlich den Fischkauf. Da schwammen die Forellen und Karpfen in großen Glasbassins. Man zeigte auf die Tiere, die man haben wollte, sah wie sie mit dem Käscher aus dem Wasser geholt und - für alle sichtbar - geköpft und ausgenommen wurden. Blutige Sache, ziemliche Sauerei. Aber der Fisch WAR frisch. Eindeutig. Und alle fanden es ok. Heute würde Greenpeace mit 'nem Schlauchboot vorfahren, den Kinderschutzbund im Schlepptau. Zu enge Bassins, traumatische Eindrücke für Kinder, kurz: Barbarei. Und mal ehrlich:  keiner macht sich auch heute mehr die Mühe, die Fischtüten zu spülen, zu trocknen und sauber im Kellerabgang akkurat aufzustapeln, um bei nächster Gelegenheit altbackene Brötchen darin zu Paniermehl zu zermahlen. Lieber nachhaltige Produkte kaufen.
Worauf ich aber hinaus wollte, ist die Konstante in all der Veränderung. Die Tüte für TK-Ware an der Kellertreppe zu deponieren. Bei Oma und jetzt bei mir. Gut - die Humatüten fehlen noch. Aber sonst gleiches Bild. Krass ist: ich habe sie da gar nicht hingehängt, sondern Herr Zumbrechenflexibel. Der kannte meine Oma gar nicht. Er hätte die Dinger also überall hinhängen können. Hat er aber nicht. Sie haben ihren Platz auf der rechten Seite der Kellertreppe bekommen. Als wäre es ein Naturgesetz: Wenn es in einem Haushalt gleichzeitig Thermotüten (A) und Kellertreppen (B) gibt, hängt A an B. Keine Diskussion.
Und wenn der Müll abgeholt wird, vergessen wir am Vortag die Tonne rauszustellen. Das war in Berlin so. Das bleibt auch im Rheinland so. Aber das ist wohl eher wieder so'n "man-nimmt-sich-halt-immer-selbst-mit-Ding". Aber auch das ist eine Konstante.
Schön.

Dienstag, 24. September 2013

Westfälische Pause - oder so...

Münsteraner Idylle: kein Fahrrad, keine Leute. Schööön!
Quelle: Stadt Münster
Während wir durch die Republik marodiert sind, haben wir übrigens auch mal drei Jahre in Münster Station gemacht. Und zwar nicht während des Studiums, sondern danach, aber vor der Familiengründung und das war das Problem. Denn Münsteraner haben für "erwachsen, aber keine Kinder" keine Kategorie, sodass sie einen entweder ignorieren oder einfach als Student behandeln. Das heißt duzen und bei vermeintlichem Fehverhalten derb zurechtweisen. Sollte man sich wehren, eskaliert die Situation sofort, also besser ruhig verhalten. Besonders wenn man kein Fahrrad besitz, nicht gebürtig aus Münster kommt und nicht katholisch ist. Doofe Klischees? Mitnichten. Versucht mal, da Kontakte zu knüpfen, ohne mit den Leuten schon im Kindergarten gewesen zu sein. Nicht möglich. Mit dem Auto in DEN KREISEL fahren - für Ortsunkundige: das ist der einzige zweispurige Kreisverkehr der ganzen Stadt und die Leute erbeben vor Angst, wenn sie davon sprechen. Böse? Nein. Tatsache - und darauf vertrauen, dass sich die Radfahrer an grundlegende Verkehrsregeln halten. HA! Das Leben in Münster ist nur als Münsteraner angenehm und Humor findet man nur im Tatort. Ich darf das sagen, denn ich will eh nie mehr dahin.

Wovon ich aber eigentlich im Nachgang zum Klassentreffen erzählen wollte, ist meine Begegnung mit der Westfälischen Pause. Dazu muss ich noch etwas weiter ausholen. Ich hatte ja schon öfter erwähnt, dass meine ganze Familie aus Berlin stammt und somit auch das entsprechende Naturell (pampig, aber herzlich) sowie die sprachlichen Gewohnheiten ("Bouletten" und "Schrippen", wa, statt "Frikadellen" und "Brötchen") mein Umfeld beherrschte, solange ich denken kann. Eigentlich berlinerte es allerorten um mich herum, sodass ich in dem festen Glauben aufwuchs, ebenfalls eher Berliner im Exil als Rheinländer im Rheinland zu sein. 

Wie sehr ich mich darin getäuscht habe, musste ich nämlich in Münster erfahren. Ich bin Rheinländer durch und durch: redselig bis geschwätzig, kontaktfreudig, gesellig und vielleicht auch ein bisschen oberflächlich dabei. Das sind dalles Eigenschaften, die mit denen der Westfalen vollkommen inkompatibel sind. Die sind - soweit ich sie kennengelernt habe - eher ruhig, man könnte auch abweisend sagen, einsilbig (oder maulfaul) und - hmmm - "träge", was die Anbahnung neuer Kontakte angeht. Um es kurz zu machen: Es hat drei Jahre gedauert, selbst OHNE KINDER, einen netten Bekanntenkreis aufzubauen.

Dennoch sind wir von Anfang an in unserer Freizeit mehr oder minder häufig mit Menschen in Kontakt gekommen. Und mit denen habe ich mich dann auch gerne unterhalten. Also - um ehrlich zu sein - ich habe sie unterhalten. Denn ich habe das gemacht, was ich in Gesellschaft immer mache, ich rede. Viel. Und mit einigen Schlenkern und Schnörkeln. OK. Mit vielen davon. Und ich persönlich finde das dann auch immer interessant. Aber irgenwann muss auch ich mal aufhören und immer genau dann kam von meinem westfälischen Gegenüber - nichts. Schweigen. Stille. Also genau das, was in einem ersten Gespräch immer besonders unangenehm und peinlich ist. Ich habe dann regelmäßig gedacht "Huuuu! Jetzt hast du wiedermal was total Doofes gesagt. Mist. Peinlich." Schnell Thema wechseln. Und dann habe ich ein neues Fass aufgemacht und wieder viel erzählt. Mit demselben Ergebnis. Stille, Schweigen. Unbehagen. 

Das hat mich belastet. Echt. Sodass ich irgendwann mal mit einer älteren Münsteranerin darüber gesprochen habe: dass ich immer rede und rede und REDE und wenn ich damit aufhöre, die Leute immer total peinlich berührt sind und schweigen. Ob sie da vielleicht einen Rat weiß. Und dann sagt die: "Das musst du nicht persönlich nehmen. Das ist hier einfach so. Wenn ein Gespräch lange genug dauert, entsteht Stille. Das ist die "Westfälische Pause". Das ist gar nicht unhöflich gemeint. Wir sind halt gerne für uns. Wenn ich dich in einer Kneipe treffen würde, würde ich mich auch nicht zu dir an den Tisch setzen, sondern woanders hin. Das machen wir hier so."

AHA.

Hat also nichts mit mir zu tun. Na dann bin ich ja beruhigt. Habe also nichts Blödes gesagt, sondern einfach nur die Redezeit ausgefüllt, sodass mein Gegenüber erstmal mit der Pause dran war. Wie unhöflich von mir, genau in dem Moment weiterzureden, in dem der Westfale eigentlich ansetzen wollte, zu antworten. Vielleicht. Auf jeden Fall ein mentalitätstechnischer Kulturschock. Habe mich in Berlin tatsächlich wohler gefühlt: pampig, aber grundsätzlich offen. Damit kann ich arbeiten.

Jetzt sollte man denken, dass mir als heimgekehrte Rheinländerin im Rheinland dann keine Westfälische Pause mehr begegnet. Bin ja nicht mehr in Westfalen. Weit gefehlt! Während des Klassentreffens ist sie mir tatsächlich hin und wieder über den Weg gelaufen. Diese peinliche Stille nach eigenen Redebeiträgen. Doof ist: Jetzt kann ich es nicht mehr auf die maulfaulen, bornierten Münsteraner schieben. Es muss an mir liegen. Wahrscheinlich habe ich einfach was echt Doofes gesagt. Naja - was solls. Einer muss das ja machen. Wäre ja sonst kein Klassentreffen...

Sonntag, 22. September 2013

Kinder, wie die Zeit vergeht!

Geschafft! Das erste Klassentreffen nach 20 Jahren. Meinem Vater fiel vor zwei Tagen fast das Glas aus der Hand "Was? SO lange ist das schon her?" "Ja. Papa. SO lange." Die Zeit vergeht, ist vergangen, soviel steht fest. Und im Nachhinein ist das irgendwie schneller passiert, als man so denkt oder als man das gerne hätte. Andererseits - wenn ich überlege, was in der Zeit alles gewesen ist, passt es wieder. War nämlich ganz schön viel los, in den letzten zwanzig Jahren (zehn Umzüge, zum Beispiel). Und wenn ich mir jetzt noch vorstelle, dass mir als deutscher Durchschnittsfrau statistisch noch etwa zweimal dieselbe Zeitspanne bleibt, ist das doch gar nicht schlecht. Sollte nicht noch was dazwischen kommen, aber das werde ich ja dann sehen. Oder eben auch nicht.

Aufregend war's auf jeden Fall. Allem voran der Blick in den Kleiderschrank. Man will sich ja dann doch irgendwie von seiner besten Seite zeigen, modisch voll auf der Höhe der Zeit sein. Dazu äußerlich noch in höchster Blüte stehen und innerlich schon mit den ersten Früchten der Altersweisheit gesegnet, kurz: ein vollkommener Mensch. Anziehend, witzig, entspannt, tadellos, was man auf dem Höhepunkt des Lebens eben so sein will. Toller Plan. Leider direkt vom Kleiderschrank sabotiert. DER sagte nämlich: "Schätzchen, du bist modisch irgendwo Ende der 90er stehen geblieben, hast dir in den vergangenen Jahren nur bügelfreie Funktionskleidung gekauft und selbst die ist mittlerweile schäbig, bekleckert oder weg. Sieh es ein, weine ein bisschen und geh' in Sack und Asche." HA! Da hat er die Rechnung aber ohne die gute Fee gemacht. Die hat nämlich mit neuen Jeans und Schuhen ein bisschen nachgeholfen. "Um die Bluse musst du dich aber selber kümmern, Schätzchen." "Alles klar. Habe ich. Zu Hause. Aber nenn mich nicht "Schätzchen", Alte!"

Ich also wieder nach Hause und habe da eine dreiviertel Stunde nach der scheiß Bluse gesucht. Gefunden habe ich sie schließlich auf dem Grund einer leeren Pampers-Kiste, kellerfeucht und total zerknittert. Aber sauber. Toll. Leider war dann das Bügeleisen weg. Herr Zumbrechenflexibel hat es über das Wochenende mit nach Nordhessen genommen. Die Kinder auch. Letzeres ist praktisch. Das mit dem Bügeleisen eher doof. Tatsächlich habe ich dann noch in meinem Kleiderschrank eine andere weiße, gebügelte UND gestärkte Bluse gefunden. Wie die da rein kommt - keine Ahnung.

Der letzte Blick in den Spiegel stellt einigermaßen zufrieden: modisch in der Zeit, innerlich gereift, also offensichtlich mit Gewinn gelebt und weiterentwickelt, dabei kaum gealtert - oderOderO.D.E.R.? Und dann kommt er, DER SATZ, der alle diese Bemühungen vereitelt, vernichtet und einen brutal wieder auf den Boden der Tatsachen holt: "Mensch, du hast dich ja gar nicht verändert!" Arrrgh! Dann hätte ich auch den Schrott aus dem Schrank anziehen und mit Dauerwelle in "schwarze Kirsche" und Chucks gehen können. OK. Ich sehe also in den Klamotten von heute noch so aus wie damals. Eigentlich doch nicht so schlecht. Ziemlich gut sogar. Oder? Ja. Puh! Hätte schlimmer kommen können. Zum Beispiel: "Ach du Scheiße! Wie siehst DU denn aus???" Oder "Äh. Hallo. Hmmm. Hilf mir mal - wer bist du nochmal?"  Oder "Entschuldigung - der Tanztee für rüstige Senioren ist nebenan."

Äußerlich unbeschadet durch 20 Jahre gegangen zu sein, ist ein Erfolg. Vor 500 Jahren wäre ich in diesem Alter mit großer Wahrscheinlichkeit schon tot, hätte keine Zähne mehr, dafür aber etwa 20 Kinder, von denen nur wenige das sechste Lebensjahr erreicht hätten. Ich will also gar nicht meckern. Die anderen haben übrigens auch keinen Grund zu meckern, denn die haben sich auch alle gar nicht verändert. Cool, oder? Dass man heute mit knapp 40 der jugendlichen Ausgabe seiner selbst so ähnlich sieht.

Davon mal ab: wovor ich wirklich ein bisschen Schiss hatte, waren ein paar alte Geschichten. Die wirklich sehr lustig sind, wenn man nicht gerade selber die Hauptperson ist. Ich hatte fest damit gerechnet, die schon am Eingang in treffenden Schlagworten entgegengeschleudert zu bekommen. Sie kamen aber nicht, denn man hatte sie vergessen. Einfach so. Die Zeit macht doch einen recht guten Job. Letztendlich habe ich die sehr spät abends selber nochmal erzählt. Denn ich bin ja innerlich gereift und stehe jetzt sowas von über den Dingen. Die richtig peinlichen Details habe ich aber weggelassen. Bin ja nicht doof! Die hebe ich mir für das 40-jährige Klassentreffen auf. 

Freitag, 20. September 2013

LED Echtwachskerzen

Kennt ihr das, wenn ihr was seht, das euch einfach dem Atem verschlägt und ihr nicht mehr so recht wisst, was ihr darüber denken sollt? Ob ihr dann überhaupt noch denken KÖNNT? Geht mir häufig so. Echt. Vielleicht so oft, dass die Momente, in denen ich ruhig, regelmäßig atme und sogar noch denke dabei, eher die Ausnahme sind. Weil mir so vieles ob seiner Derb-, Doof- oder sonstigen -heit schlicht die Sprache verschlägt, habe ich aus reinem Selbstschutz aufgehört, Privatsender zu sehen. Ich wäre sonst mittlerweile stumm wie ein Fisch.Aber manchmal überrascht einen der Schrott, wo man nicht damit rechnet. Ich hatte zu Beginn mal von der visuellen Kollision mit einer Klopapierreklame in Tegel berichtet. Heute ist mir was vergleichbares begegnet. Und zwar bei Tchibo.

OK.

Ich gebe zu, dass man da außer Kindergummistiefeln eigentlich auch nichts wirklich brauchbares erwarten darf, aber das Folgende hat mich ECHT erschreckt: Eine ausgehölte Echtwachskerze in Braun-Silber mit LEDs drin. Und die flackern auch noch. Der Werbetext beschreibt das Ding mit "flackernde Kerzenimitation - ohne Brandgefahr". Offensichtlich ist die Abwesenheit der Brandgefahr das einzige, was hier selbst Profis positiv hervorheben können. Mal ehrlich: bevor ich mir sowas ins Regal stelle, lasse ich die Hütte abbrennen. Bis auf die Grundmauern. ECHT. Das muss man sich mal vorstellen: Ein hohler, bleicher Wachsrundling, oben vollkommen glatt gefräst, außen mit silberfolienveredelten "Borkenoptik", die man aber nur 'nem Blinden als solche verkaufen kann. Und drinnen zuckt ein künstlich erwärmtes Kunstlicht.

Warum stellt man sich sowas in die Wohnung? Schönheit, Romantik oder "natürliches Ambiente" scheiden ja aus.

Ich bin wirklich ratlos.

Donnerstag, 19. September 2013

Chaos im Arbeitszimmer

Heute bin ich pünktlich zu Arbeitsbeginn in mein noch funktionsloses Arbeitszimmer gestiegen, um mal schnell klarschiff zu machen und dann ein paar ECHT WICHTIGE Sachen zu erledigen. Dürfte ja kein großes Ding sein, denn die Packer hatten ja alles ausgepackt, Tisch, Regale und sogar die Lampen montiert, sodass es auf den ersten Blick gar nicht scheiße aussah. Im Gegenteil - es sah sogar ok aus. Also normal. MEIN normal. Was soll ich sagen? Ich bin mit meinem Vorhaben kläglich gescheitert. Und zwar nicht an MEINEM Chaos, sondern an einem, das noch viel größer ist. Mein Chaos hat in dem der Packer sozusagen seinen Meister gefunden. Oder um es anders zu formulieren: die haben mein Chaos in Berlin einfach eingepackt, auf der Strecke dann ein bisschen durchgeschüttelt und am Ende wieder ausgepackt. Aber nicht in der richtigen Reihenfolge. Auch nicht umgekehrt. Sondern einfach irgendwie. Sie haben einfach alle Kisten vollkommen sinnfrei auf allen horizontalen Flächen entleert. Kistendurchfall. Mist.

Und das Gemeine ist: Sie haben das so geschickt gemacht, dass man es bei einer flüchtigen Passage gar nicht entdeckt hat. Denn sie haben den Mist rechtwinklig angeordnet, was beim entsprechend eingenordeten Mitteleuropäer sofort den Ordentlichfindenreflex auslöst.

Ich komme also heute morgen in mein ordentliches Arbeitszimmer und will nur kurz Platz auf dem Schreibtisch für meinen Klapprechner machen. Das fängt es schon an. Genau an der Stelle, wo eigentlich mein Laptop hingehört, liegt ein schwarzer Klapptisch mit USB-Anschluss und Leselampe, der einem schon in der Vortablet- und Smartphonezeit aufgeräumten Medienkonsum im Bett ermöglicht hat. Den habe ich vor die Tür gestellt. Das war einfach. Toll. Neben den gerade frei gewordenen Ort steht ein monströser Farblaserdrucker. Den habe ich nicht mal um einen Zentimeter verrücken können. Mist. Also weiter: Daneben steht ein Multifunktionsdrucker mit Flachbettscanner. Tinte eingetrocknet, Scanner funktioniert nur an einzelnen Tagen, die er aber vorher nicht ankündigt. Kopierfunktion fällt aus, weil ja Tinte eingetrocknet. Warum steht der eigentlich noch hier??? Daneben liegt ein Blätterhaufen. Ich fange an, die Blätter zu sortieren, finde aber die Ordner nicht, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehehen.

O. K. ...

Babyratgeber stehen neben Fachliteratur, Druckeretiketten liegen auf Urlaubsfotos. Kein Ding hat einen annähernd haltbaren Platz. Naja - der Stuhl vielleicht. Wo kommt bloß dieser ganze Kram her? Wer braucht den?? Habe ich nicht irgendwann mal gesagt, wir reisten mit leichtem Gepäck? HA! Ich hatte ja keine Ahnung!!! Mir fällt eine Süddeutsche aus meinem Privatarchiv in die Hände - Titelgeschichte ist die Trauerfeier von Johannes Paul II. Spiegel zum Wahlsieg Obamas. Wohin bloß damit? Alle Ordner aus dem Regal. Ebenso alle Bücher. Büromaterialien auch. Der gesamte Zimmerboden verschwindet unter Stapeln von Büchern, wichtigen Unterlagen und Krempel. Manchmal habe ich an der Spitze des Stapels seinen Grund vergessen. Also nochmal umschichten. Der Arbeitstag ist zu Ende, bevor ich den Boden wiedergesehen habe.

Morgen nehme ich eine Grubenlampe mit. Proviant, Wasser für 14 Tage und ein Notstromaggregat. Nur für den Fall, dass die Unordnung noch tiefer reicht, als es sich heute absehen ließ. Man weiß ja nie so genau. Warum hat mir das bloß keiner vorher gesagt?! In drei Jahren werde ich - sollte sich mal wieder ien Umzug ankündigen - einfach Urlaub machen. LAAAAAAAAAAAAANGE

Dienstag, 17. September 2013

Auftauchen

Ein bisschen 90er-Schick. Ich weiß. Aber irgendwie beruhigend.
ICH BIN WIEDER DA!!!

Damit meine ich nicht nur auf diesem Kanal, sondern so allgemein. Der Umzug ist jetzt drei Wochen her - also der eigentliche Transit von Berlin ins Rheinland - und ich habe heute zum ersten Mal Zeit UND Glelegenheit, mal wieder durchzuatmen. Zumindest für drei Stunden. Und darüber zu schreiben - selbstverständlich. Das heißt: Ein bisschen Kopf schaut wieder aus dem chaotischen Urmeer vollkommen ungeordneter materieller, struktureller und i.n.f.a.n.t.i.l.e.r. Sachzwänge. 
Das ist SO anstrengend. 
Alles. 
Echt. 

BOAH!!!

Heute fühlt es sich so an wie der erste Atemzug nach einer langen Tauchstrecke. Gierig. Leicht panisch. Absolut gegenwärtig. Das Bild der langen Tauchstrecke passt. Könnt ihr euch noch erinnern, wie es war, für eins dieser Schwimmabzeichen einmal die ganze 25-Meter-Bahn durchtauchen zu müssen? Für so'nen Wimpel, den man sich dann an den Badeanzug nähen konnte und jeder schon von weitem sah und dachte: "Boah! Die/der kann 25 Meter weit tauchen. Ist ja toll." Klar war man stolz. Man musste diesen Badeanzug deshalb aber leider auch dann noch tragen, als er schon viel zu klein war, weil ja dieses scheiß Abzeichen drauf war. Dieses Problem würde ich heute anders lösen.

Aber ich war ja beim Tauchen. Man steht also auf dem Startblock und weiß: Das wird jetzt unangenehm, saumäßig anstrengend und brennt in den Augen. Aber es ist zu schaffen. Und man will ja diesen Wimpel. Irgendwann holt man einmal tief Luft, hält den Atem an und springt soweit wie möglich ins Wasser. Ist das geschehen, zählt nur noch die zielgerichtete Bewegung. Entlang der Linie aus schwarzen Kacheln auf dem Grund. Zug um Zug. Bald drückt's und hämmert's überall und man will nur noch Luft holen, aber das geht nicht, denn man muss ja Strecke machen, um DAS ZIEL zu erreichen. Zug um Zug um Zug. Wenn es gut läuft, ist man da, BEVOR es unerträglich wird. Der Puls rast und die Bewegungen werde fahrig. Dann taucht man auf. In dem Moment zählt nur der erste Atemzug. Und erst, wenn das gesamte Sensorium wirklich sicher ist, doch nicht ertrinken zu müssen, kommt die Freude darüber, es wirklich geschafft zu haben.

Um wieder trocken zu reden: Die Möbel stehen. Die Sachen - außer meinen - haben alle wieder einen eigenen Platz. Der Tag bekommt einen eigenen Rhythmus. Manche Wege und Abläufe erinnern schon wieder entfernt an Routine. Ich könnte heulen. 

Dennoch herrscht ein Gefühl der Fremdheit vor. Abseits der Routen zur Schule und zum Kindergarten, zu Tankstelle und Supermarkt ist die Landkarte einfach noch weiß. Und wenn man mal ohne Navi zum Zoo fährt, endet man irgendwo in Rhein-Ruhr und der Tank ist alle. Existenziell bedrohlich. Die Gesichter auf den Straßen sind fremd und der Dialekt klingt falsch. Ich erwarte irgendwie immer noch die Berliner Sprachmelodie. Also in doppeltem Sinne aufgetaucht. Zum einen aus dem Umzugschaos und zum anderen in einer unbekannten Umgebung. Plopp! Da bin ich. Interessiert aber zunächst mal keinen. Naja. Das wird sich ändern. Die werden mich schon noch kennenlernen. HA!

Zunächst aber mal zu den wichtigen Dingen. Die nächsten Schritte werden sein: 
  1. einen Maler suchen und ihn mit der Beseitigung der Wohnspuren anderer Leute zu betrauen. Nach Möglichkeit mit den Farben unserer Vorlieben.
  2. uns RÜCKWIRKEND von den ganzen Berliner Versorgern abmelden
  3. unseren Fuhrpark vor Ort anzumelden. Wovor es mir graut. Nicht wegen der Bürokratie. Auch nicht, weil wir dann das Berliner Kennzeichen als letzte offizielle Verbindung zu den letzten sechs Jahren abgeben müssen. Es ist viel schlimmer. Wir werden ein METTMANNER Kennzeichen bekommen. Und das mir als Düsseldorferin. Die größte Demütigung, die man sich so vorstellen kann. Ach nee. Das wäre ja ein Nummernschild aus Köln.
 Puh! Glück gehabt...

Sonntag, 1. September 2013

Resümee von 7 Tagen

Man vergisst die Zeit, wenn es keinen Anlass gibz, dauernd über sie nachzudenken, stattdessen vom ersten Hahnenschrei bis in die tiefe Nacht packt und räumt und wischt und packt und räumt und fährt und packt und wischt.... Es ist, zugegeben, etwas eintönig. Egal, ob man nun ein- oder auspackt. Ob man Fettschmutz oder Staub wischt. Ob man von Berlin westwärts fährt oder zum 10. Mal von einer rheinischen Stadt in die andere. Und wieder zurück.

Aber es ist unfassbar, was man in sieben Tagen alles schafft, wenn die Dinge optimal laufen. Und die weltbesten Organisationsgenies am Start sind. Ich will mal kurz den Ablauf bis hier dokumentieren:

Sonntag, 25.8.2013
Kinder aus Berlin nach Helmstedt gefahren, dort den Großeltern übergeben, wieder nach Berlin, dort Koffer gepackt, mich schön gemacht und auf nach Mitte, um dort Hochzeitstag zu feiern. Weit nach Mitternacht heimgekommen, lange wachgelegen.

Montag, 26.8.2013
Wecker geht um sieben. Den Rest lest unter Take-off. Abends nochmal nach Mitte.

Dienstag, 27.8.2013
Wecker geht um halb acht. Packer kommen heute pünktlich um acht. Na sowas. Bis eins wird gepackt. Das Haus ist leer. Parallel findet die Eigentumsübergabe mit den neuen Besitzern und Makler statt. Haus wird mit großartiger Hilfe von allen Staubmäusen, Krusten und Aufkleberresten befreit. Schlüssel ist weg, wir sind endgültig raus und brechen um 16 Uhr zum letzten Mal aus Heiligensee in Richtung Autobahn auf. Die Bilder sind so alltäglich und vertraut, dass es einfach nicht uns Hirn will, dass diese Fahrt die allerallerletzte ist. Naja. Fünf Stunden Fährt bis Düsseldorf Auf einen Absacker zu meinem Vater. Der uns mit gutem Wein und starker Suppe versorgt. Um zwölf geht der Tag zu Ende.

Mittwoch, 28.8.2013
Wecker geht um halb sieben. Frühstück, Sachen packen, Auto holen, auf in die neue Stadt, wo der 18-Tonner die Bundesstraße blockiert, an der wir jetzt wohnen. Es wird ausgepackt. Das Highlight des Tages: Unsere unbeschreiblich schweren Schlafzimmerschränke müssen in toto über das Sonnendeck im ersten Stock ins Haus. Das machen die zu fünft, ohne weitere Hilfsmittel als Spanngurte. Keiner wird verletzt, die Schränke nicht beschädigt, alles gut. WAHNSINN.
Der Rest ist doof, denn sie sollen auch auspacken. Machen Sie auch: aus den Kisten raus und dorthin, wo auf horizontalen Flächen Platz ist.

Donnerstag, 29.8.2013
Der Wecker geht wieder um sieben wur kommen wieder zu spät, der Lkw blockiert wieder die Straße und die Packer geben sich Mühe, können aber zu 60% leider nicht denken. Schade. Herr Zumbrechenflexibel schwirrt gegen Mittag nach Düsseldorf ab, um dort die Wohnung aufzulösen. Er wird damit bus nachts um elf beschäftigt sein. In der Zwischenzeit habe ich die Küche als ersten Ruhe- und Ordnungspunkt inmitten des Chaos installiert und bereite als gute Hausfrau den schwer schuftenden Männern Schnittchen und später Nudeln mit deftiger Soße zu. Am Ende des Tages hängen alle Lampen, stehen alle Möbel, die Zweitwohnung ist leer und wir wissen, wie der Herd funktioniert. Erste Nacht im neuen Haus.

Freitag, 30.8.2013
Das ganze Ausmaß der Fehlpackerei wird deutlich und lässt mich verzweifeln. Die haben alles falsch gemacht, sodass man mit dem Nachsortieren mehr Zeit braucht, als hätte man es gleich selbst gemacht. Um Zwei in die Düsseldorfer Wohnung zum Putzen. Um Punkt vier Übergabe, um vier Uhr fünfzehn sind wir ohne Mängel aus dem Vertrag entlassen. Um halb fünf sitzen wir im IKEA-Restaurant und essen Pommes. Stauraum für Kleidung und diverse Kleinteile werden eingerafft. Danach wieder "nach Hause". Dort wird weiter geräumt und sortiert. Und darüber die Verabredung auf einen Rotwein mit der besten Freundin vergessen. Wie konnte das nur passieren???

Samstag, 31.8.2013
Auspacken, sortieren, aussortieren. Für jedes Ding einen neuen Platz finden. Zunächst in den Kinderzimmern. Herausfinden, dass IKEA-Lösung für Klamottenstauraum scheiße ist und den zweiten Karton um Viertel nach acht, nach einem weiteren Tag im Chaos, zurückbringen. Dann gegen neun bei Freundin auf der ungeheuer weichen Couch bei einem Glas Wein und Nüssen zusammensinken und erst nach Mitternacht die Kurve nach Hause kriegen.

Sonntag, 1.9.2013
Um zehn Uhr ohne Wecker wach werden, frühstücken. Herr Zumbrechenflexibel fährt die Kinder holen und ich mache die Wäsche, räume den Tisch ab und räume, räume, räume. Ich kann gar nicht mehr aufhören damit.

Freitag, 30. August 2013

Wir sind da!

Die erste Nacht im neuen Haus. Ich kann es NOCH nicht fassen, dass wir hier sind, dass alles reibungslos geklappt hat, dass das Thema "Eigenheim" vollkommen abgeschlossen und Berlin 600 Kilometer hinter uns liegt. Wir haben dafür fünf Stunden und für 90 Euro Benzin gebraucht, hatten nicht an jeder Abfahrt ihre Ankündigung auf Deutsch UND "Englisch" und konnten unser Unterhaltungsprogramm frei wählen. Schönen Gruß an die Bahn.

Jetzt haben wir noch zwei Tage, um den Inhalt des 18-Tonners in unsere Schränke zu verteilen. JAAAJAAAJAAA - JAAHAAA! Ich weiß. "Leichtes Gepäck" stellt man sich anders vor. Anscheinend gab es den einen oder anderen doppelten Boden. Jetzt ist es auf jeden Fall da - ALLES. Und die Einschätzung des Umzugsplaners, dass "das Auspacken in der Regel nicht funktioniert", war sowas von richtig. Es ist gespenstisch.

Der Fairness halber muss ich sagen, dass die Jungs aus Berlin echt gut waren. Haben zugepackt, mitgedacht und sind sehr behutsam mit den Sachen umgegangen. Dazu waren sie noch angenehm im Umgang. Das muss man sich mal vorstellen.

Ganz anders die Packer aus dem Rheinland. Zugepackt haben sie auch. Bei den Umgangsformen hörte es dann aber auch schon auf und vom Mitdenken will ich lieber schweigen.  ...  ...  ....

NAAAAAIN!!!

Will. Ich. Nicht.

Ich MUSS reden. Sie haben Inliner und Rollschuhe in die Wäschekomode gepackt. Die war dann recht schnell voll UND dreckig. Sie haben zwei Kisten Plüschtiere einfach aufs Bett von Kind Nr.1 gekippt. Sie haben Kinderbücher in die O.B.E.R.S.T.E.N. Bretter der treuen Billys geräumt. Sie haben im Bücherschrank Gesamtausgaben auseinandergerissen und bunt mit anderen Werken gemischt. Und dann haben sie Bücher mit dem Kopf nach unten und dem Rücken nach hinten eingeräumt.
Jetzt mal ehrlich: wie stumpf muss man eigentlich sein???

Und die Krönung kam am Schluss. Einer der Jungs fand irgendwo ein verpacktes Kondom, nahm es hoch und fragte mich - die anderen standen nebendran und tranken Kaffee - "Brauchen Sie das noch?" Ich: "Äh, Nee. Behalt ruhig. Bin 12 Jahre verheiratet....?!!!!!"

Passiert eigentlich NUR MIR sowas? Wenn ja, warum? Stelle ich zu hohe Ansprüche? Ich weiß nicht.

Vielleicht.

Ich will aber nicht rumheulen. Jetzt wird ausgepackt...

Montag, 26. August 2013

Take-Off

7.15 Uhr. Wecker klingelt.

7.30 Uhr. Entferne SCHWARZE Krusten aus der Badewanne

8.00 Uhr. Jetzt kommen sie gleich.

8.30 Uhr. Eigentlich müssten Sie jetzt schon da sein.

8.45 Uhr. Schaaahaaatz, der Umzug ist doch heute, ODER????

8.50 Uhr. Mal anrufen.
"Geschmeidige Umzüge, Herr Superentpannt-lustig am Apparat. Was kann ich für Sie tun?"
"Guten Tag, Frau Zumbrechenflexibel hier. Wir waren doch heute verabredet?!"
"Ja, klar! Ick hab Sie hia uff meener Liste. Die müssten jeden Moment komm'. Wir hamm Sie nich fajessen."
"Schön. Dann bin ich ja beruhigt. Wiederhören."
"Jawoll. Schön' Tach noch."
"Hm. Danke."

8.56 Uhr. Vorhut erscheint, besichtigt das Haus und trinkt gerne einen Kaffee.

9.15 Uhr. 18-Tonner erscheint und ist zu groß für die Auffahrt. Der Gigant wird nun also 24 Stunden die halbe Straße blockieren und sämtliches Mobiliar wird etwa 60 Meter weit zum LKW geschleppt. Die (Ex)Nachbarschaft wird also bestens informiert.

9.16 Uhr. Autos stauen sich kilometerweit. Ortskundige werden gebeten, den Bereich weiträumig zu umfahren.

9.30 Uhr. Erfahre telefonisch vom dramatischen Urtikaria-Anfall von Kind Nr.1, der sogar im Nachtnotdienst behandelt werden musste. Toll. Und bei mir kriegen sie immer nur Magen-Darm.

10.00 Uhr. Kinder-, Schlafzimmer und Bad sind gepackt.

10.15 Uhr. Altkleidersack entsorgt.

10.16 Uhr. Ich organisiere Pizza für fünf Kerle.
"Irgendwelche Sonderwünsche?"
"???"
"Naja - kein Schweinefleisch, gar kein Fleisch, kein Käse..."
"Wieso? Nee. Wir essen alles."
"Alles klar."
Mit so einer Ansage kann ich arbeiten.

11.40 Uhr. Drei Milliarden Kisten sind verpackt und verladen. Der Gipsabdruck der ersten Schwangerschaft liegt mittig auf dem Tisch. Hmmm.

11.50 Uhr. Kaffeepause.

12.10 Uhr. Pizzazeit. Entdecke zum ersten Mal, dass man auch drei TK-Pizzas gleichzeitig in den Ofen bekommt.

12.45 Uhr. Trampolin abgebaut.

13.00 Uhr. Radio Frizz nervt nach drei Stunden BRUTAL.

13.03 Uhr. Fuchskot mit Würmern im Garten gesichtet. Zeit zu gehen.

13.56 Uhr. Drei Meter vor unserem Umzugslaster geht ein Golf in Flammen auf und brennt vollständig aus. Großaufgebot der Feuerwehr rückt an.

MAAAAANN!!! WIR KÖNNEN NICHTMAL NORMAL UMZIEHEN.

13.58 Uhr. 3 Feuerwehrfahrzeuge, ein Polizeiauto und ein Dieseltanklastzug stehen vor dem Haus. Die vier ersten löschen Flammen, beseitigen Gestank und Schadstoffe, erfassen den Vorfall protokollarisch. Der Fünfte versucht, aus der Vollsperrung rauszukommen.

14.00 Uhr. ALLE Nachbarn stehen auf der Straße. Gute Gelegenheit, sich von allen zu verabschieden.

Liebe Kreuzberger, das müsst ihr uns erstmal nachmachen!

14.30 Uhr. Fünf Feuerwehrleute sitzen an der geräumten Unfallstelle in der Sonne und haben viel Spaß.

15.30 Uhr. Nach einer Stunde erfolglosen  Klebeschicht-der-Schreibtischstuhlunterlage-vom-Laminat-schrubben erledigt Herr Zumbrechenflexibel den Job in 5 Minuten mit ein bisschen Bio-Ethanol.

16.00 Uhr. Das Wasser wird aufgrund eines Hydrantenschadens auf unbestimmte Zeit abgestellt.

Ach ja - die oberen zwei Geschosse sind vollkommen leer. Außer den Staubmäusen, versteht sich.

16.39 Uhr. Vom Sofa aus sieht alles noch fast normal aus. Nur das fehlende Trampolin im Garten zeigt an, dass irgendwas im Gang ist.

17.00 Uhr. Alle Schränke sind leer.

17.05 Uhr. Abschiedsplausch mit der Nachbarin. Dabei werden die Wasserwerker beobachtet, die immer noch versuchen, den Hydranten wieder flott zu bekommen.

17.30 Uhr. Möbelpacker machen Feierabend. Bismorgen.

War doch ganz entspannt.

Was machen wir jetzt? Ab nach Mitte, Sundowner trinken.

Sonntag, 25. August 2013

Countdown: EINS

Kinder weg, Haus im Chaos und Herr Zumbrechenflexibel und ich in Mitte, um unseren 12. Hochzeitstag zu feiern. An einem Sommerabend, ohne Kinder in Berlin. Was könnte schöner sein???

Samstag, 24. August 2013

Countdown: ZWEI

Die offizielle Tschüssrunde mit Kindern ist gelaufen. Das war's jetzt. ENDGÜLTIG.

Bei Kaiserwetter auf den Spielplatz an der Malche. Großer Spaß im Wald mit Mücken, Wackelbrücke und Seilbahn. Früher gab es da auch noch Wasser in einem großen gepflasterten Tümpel, das ist jetzt Geschichte. Das Foto links zeigt Kind Nr.1 vor sehr langer Zeit in genau diesem Bassin. Den  malerischen Weg dorthin durch den Tegeler Schlossbezirk werde ich sehr vermissen. Den Spielplatz selbst nicht so.

Dann zum Kiosk auf der Malche, Apfelschorle trinken und Pommes essen. Mit Curry Ketchup. Wird von Kind Nr.2 nicht goutiert. Kind Nr.1 freut sich. Mit Dreirad, Fahrrad und den zwei Fahrern nun alleine Richtung Sechserbrücke. Hoch geht es noch geschmeidig, Mutter schleppt beide Fahrzeuge die Treppe hoch, Kinder freuen sich oben "Oh, guck mal, Mama, das Meer!" und fahren in unterschiedlichem Tempo ans andere Ende. So dann das Problem: Kind Nr.1 will sein Fahrrad alleine runtertragen, wird von mir aber gebremst "S.T.O.P.P.!!! SO-FORT!!! Und bleibt irritiert auf der vierten Stufe mit quer hängendem Fahrrad stehen. Passanten gehen darum herum und stören sich nicht weiter, schieben das Ding auch einfach mal ein bisschen zur Seite. Das Kind schwankt und ich aus Sympathie gleich mit. Ich bin schon an der Kante, um das Fahrzeug endlich an mich zu nehmen, da kreischt Kind Nr.2 panisch von der Mitte der Brücke, wo ich denn sei. "Ich bin hier, fahr einfach weiter!" "WOOHOO!?" "Hier. Fahr noch etwas geradeaus, dann siehst du mich wieder." "ISS KANN NISS!" Endlich greifen zwei beherzte Omis ein. Sie schnappen sich das Fahrrad von Kind Nr.1 und tragen es die lange Treppe hinunter, sodass ich mich um den vermeintlich verlorenen Sohn kümmern kann.

Jetzt zur Greenwichpromenade an den Tegeler See. Dampfer verabschieden, Rentner, Sommerfrischler, Gänse, Schwäne, Enten, Möven und die schwarzen Seevögel mit den gelben Füßen, die beim Schwimmmen immer mit dem Kopf nicken, auch. Dort an den Seespielplatz - für meinen Geschmack genau zwei Spielplätze zuviel an einem Tag. Sich plötzlich wieder daran erinnern, dass bei gutem Wetter maximaler Sozialstress an der Tagesordnung ist und andere Kinder immer doof sind. Und die Eltern erst. Dass Fallkies super ist, um bei seltenen Stürzen von den Geräten das Schlimmste zu verhindern, aber immer und jederzeit die Schuhe der Eltern ruiniert. Dass man keines Falls gemütlich mit anderen Eltern schnacken kann, sondern sein Kind immer vor den assigen anderen Kids schützen muss. "Na?? Trauste dir nich zu rutschen, Keule?" "Keule" war mal Kind Nr.1. "Dett is janz einfach, weeste? Da setzte dir hier so druff, wa?" Nimmt mein kleines, zartes Kind und rammt es mit dem Windelhintern auf die Rutsche. "Dann hälste dir hia jut fest, fastehste? Und dann jehts ooch schon los!" Und schubst die Süße mit Kawuppdich die Rutsche runter. Die war so überrascht, dass sie erst unten angefangen hat, zu schreien. Zwei Jahre später hat dasselbe Kind nach vielen Umdrehungen auf dem Karussel in den Sandkasten gekotzt, was von einer pragmatisch veranlagten Freundin mittels Buddelschüppe schnell untergehoben wurde. Kind Nr.2 hat am Rande ebend dieses Sandkastens seinen ersten Sommer verbracht. Allerdings im Tragetuch. Bei gefühlten 100 Grad im Schatten. Heute wehte eine steife Brise (hatte ich auch vergessen) und pustete uns alle gut durch. Voll verfroren auf zum nächsten Tagesordnungspunkt:

Nach dem Sechsuhrläuten der nahem Dorfkirche nach Alt Tegel. Dort noch einmal am Kindergartentor vorbei und die von Platanen überschattete Flaniermeile runter zum Eisladen Florida. "Das iss niss Florida. Hier gipps ja kaine Krokodile!" Alles klar, Schatz. Schoko oder Stracciatella?" "Ssoko. Mit bunten Streseln und einer Glitzerpalme." Ein letztes Mal auf der Holzbank um die große Platane sitzen, Eis Löffeln, damit die Kerntemperatur auf 0 Grad absenken und dann die mit Staub, Eis und Feuchttuchkleber panierte Brut ins Auto verfrachtet. Vorher noch die längsten Freunde verabschiedet.Ihr seid toll. Alle vier.

Dann zu Hause die Kinder ein letztes Mal in den Whirlpool gesetzt und mit sehr viel Seife, Shampoo und mechanischem Abrieb runderneuert. Letzes Abendritual im eigenen Haus. Morgen werden sie schon fort sein.

Das ist traurig.

Freitag, 23. August 2013

Countdown: DREI

"Die Illusion von Zeit und Raum" - eine künstlerische
Etüde zur pastosen Maltechnik aus Klasse 12. Das
kommt raus, wenn man alle drei Jahre seine Garage
entrümpelt.Mal gucken, was nächstes Mal erscheint.
Langsam sind wir wirklich raus. Heute der allerletzte Gang in die Kita, Kind Nr.2 abholen, zu Freunden, Kind Nr.1 abholen und auf dem Heimweg den treuen Nachbarn für Montag noch auf ein Tschüss-Bier eingeladen. Wobei mir einfällt, dass wir dann gar keine Möbel mehr haben werden, auf denen wir das zu uns nehmen können. 

Ok. Stehparty. Man muss halt auch mal ein bisschen improvisieren bei gesellschaftlichen Anlässen. Streng nach Protokoll ist eh nur für Royals. Die leeren Flaschen werden später im Garten vergraben. Wenn überhaupt. Man wird so wahn-sin-nig entspannt, wenn man aus der Eigentümernummer 'raus ist. Toll. 

Was mich allerdings nicht davon abgehalten hat, heute stundenlang mit dem Fön über doppelseitigem Klebeband zu hocken, um unseren zu Tode gespielten, braunen Nadelfilzteppich zu lösen. RÜCKSTANDSFREI! Total irre. Fortschritt: 0,5 m/h. Körperliche Folgen: wunde Fingerkuppen und schmerzende Knie. Defekter Fön. Naja - nicht ganz. Nach 20 Minuten Heizpause ging er dann wieder. Die Lektion aus der Sache: Nie wieder doppelseitiges Klebeband, wenn man die Absicht hat, es irgendwann wieder zu entfernen. Oder man zieht aus und hinterlässt keine Nachsendeadresse. Da fällt mir ein - das haben unsere Vorbezitzer so gemacht. Bei der Post, die kam, ist klar, warum.

Wir lösen uns also jetzt von Berlin, um uns vorübergehend - sagen wir mal aus dem Bauch heraus: für drei Jahre - im Rheinland niederzulassen. Was interessant ist: je näher der Abschied kam, desto intensiver wurden die sozialen Aktivitäten. Man könnte sagen geradezu manisch. Hätten wir das im ganzen letzten Jahr so gemacht, wären wir aus dem Feiern nicht mehr raus gekommen. Und wahrscheinlich nach wenigen Wochen am Stock gegangen. Oder an Vitaminmangel gestorben, bei dem ganzen Kaffe- und Kuchengedöhns. Vielleicht auch eine Mischung von beidem. Jedenfalls ist die Zeit der Treffen jetzt vorbei. Ich bin ehrlich gespannt, wen wir tatsächlich nochmal wiedersehen werden. Meine Absicht, zumindest schriftlich Kontakt zu halten, ist aufrichtig und ehrlich. Ich bin gespannt, was sich einhalten lässt. 

Die persönlichen Abschiede sind dieser Tage die größte Bürde. Die Logistik Nebensache. Darum beneide ich die richtigen Nomaden aufrichtig: Sie haben ihre Lieben immer mit in der Karawane. Es ändern sich dann zwar Kulisse, die Jagd- und Weidegründe, vielleicht auch das Wetter, aber die emotionalen Bezugspunkte bleiben konstant. Klingt gut. Wenn ich mir vorstelle, ab nächster Woche wieder die "Hallo-ich-bin-also-die-Neue-sollen-wir-Freunde-sein-Nummer" durchzuziehen, wird es mir ganz schlecht und ich erwäge ein Eremintendasein. Ganz für mich. Im tiefen Wald. Zwischen Düsseldorf und Köln. Vielleicht errichte ich auch so'n Biwak am Rhein. Ach nee - da sind ja noch die Kinder. Mist.

Naja. Wie geht's weiter? Morgen kommt noch die ganz persönliche Tschüss-Runde durch Tegel. Und dann war es das. ENDGÜLTIG. Übermorgen werden Kind 1 und 2 gemeinsam zu den Großeltern geschafft. Krass. Bis jetzt fühlt sich noch alles an, wie ein ganz normales Wochenende. Ich bin gespannt, ab wann genau es sich tatsächlich real anfühlt, wegzugehen. Wenn die Kinder weg sind? Wenn die Packer kommen? Wenn wir im Auto nach Westen sitzen? Im Stau vor Dortmund? Im neuen Haus? Nächstes Jahr?

Schätze, wenn der Kram in Kisten verschwindet. Wenn es doch erst soweit wäre.

Donnerstag, 22. August 2013

Countdown: Vier

Ohne Worte schön.
Es ist geschafft. Der letzte Tag Transnationsehe ist zu Ende. Also noch nicht ganz, aber am Ende dieses Textes. Denn dann werde ich schlafen gehen und wenn ich wieder aufwache, wird Herr Zumbrechenflexibel zu Hause angekommen sein und bis auf Weiteres nicht mehr zu anderen Ufern aufbrechen. Zumindest nicht mehr alleine. Egal, wo es ihn hintreibt, am Ende des Weges wird er seinen Trolley öffnen und MINDESTENS ein Kind darin finden. Ich schwör'!

Keine Strohwitwe mehr. YAY!

Ich kann das noch gar nicht fassen und bin ein bisschen euphorisch. PROST!

Heute habe ich zum letzten Mal den Abend allein bestritten und beide Kinder bettfein gemacht. Sie müssen das gewittert haben, denn heute haben sie nochmal alles gegeben. Von "Ich habe keinen Hunger" um sechs bis "Ich habe sooo Hunger" auf dem Weg ins Bett, Zahnpasta auf den Boden spucken (ist euch eigentlich schon mal aufgefallen, dass diese Milchzahnpolitur echt verdammt hartnäckig auf Keramikfliesen klebt?) natürlich nicht waschen, Nuckel vermissen und die Gutenachtgeschichte alle zwei Sekunden torpedieren. Wenn das demnächst wieder passiert, kommt folgender Satz quasi von selbst: "Schaaahaaaatz, kannst du dich bitte mal darum kümmern und dir die Laune komplett für die nächsten drei Tage versauen lassen? Ich bin gerade total intensiv mit DEM ANDEREN Kind beschäftigt. Ich kann gerade wirklich nicht. ÄCHT."

Oder nicht mehr alleine abends unproduktiv vor der Glotze sitzen, sondern das zusammen erledigen. Oder morgens jemanden haben, den man harmonisch anschweigen kann. Ach nee. Da sind ja noch die anderen zwei. Oder wenn der Tank/Apfelsaft leer ist/die Wickeltasche nicht dabei/ Nuckel weg/Laufrad vergessen etc. jemand anderem bittere Vorwürfe machen können.

Das wird toll. Ick freu mir so!

Krass: Heute in einer Woche werden wir im neuen Heim sitzen und Herr Zumbrechenflexibel wird total fertig sein, weil er neben der Einrichtung der neuen Hütte auch noch die Leerung und Übergabe seiner Düsseldorfer Bleibe deichseln muss. Möchte da nicht mit ihm tauschen. Geht um richtig schwere Sachen schleppen und so. Das ist nix für mich. Wenigstens da bin ich ganz Mädchen. Da mache ich dann lieber Pizza für alle. Und einen schönen heißen Tee.

PS: Heute hat Kind Nr.2 in der Kita seine Abschiedsparty gefeiert. Stilecht mit Superschokoladenkuchen, unter Piratenwimpeln und mit allen seinen Freunden. Muss ein rauschendes Fest gewesen sein, denn hinterher wähnte man sich ein Jahr älter. Man habe ja Geburtstag gefeiert. Man wolle auch die Freunde mal mit in die neue Kita nehmen und sie ihnen zeigen. Bei einem Ausflug. Würde ich mich nicht gerade total egoistisch so wahnsinnig freuen, müsste ich jetzt heulen. Armer kleiner Kerl! Hoffentlich stehen schon viele neue Freunde parat, die nur auf den kleinen Piraten gewartet haben und ihn freudig in ihrer Mitte aufnehmen, wenn er da ist.

Mittwoch, 21. August 2013

Countdown: Fünf

Salzteigrakete auf Ceranfeld.
Noch fünf Tage, dann ist Takeoff. Ich. Kann. Das. Nicht. Fassen. ECHT NICHT!!! 

Ich komme mir vor wie ein Raumpilot, den man vor einem Jahr - nein: elf Monaten, wir wollen ja nicht übertreiben - in seine Raumkapsel geschnallt hat. Seit dem sitzt er da, denkt darüber nach, wie sich der Start wohl anfühlt, ob ihm schwindelig wird dabei, wodurch die Entscheidung zum Start fällt, ob es Faktoren gibt, die ihn beschleunigen/verzögern, ob er zwischendurch mal aussteigen kann und ob er dann wohl wieder zurückkommt, ob es grundsätzlich eine gute Wahl war, Astronaut zu werden, wenn man dafür solange Zeit auf einem blöden Sessel verbringen muss.Fragen über Fragen über Faregn. Aber er hat ja ZEIT.

Dann  sitzt er ewige Monate da rum, sein Hintern hat inzwischen die Form des Sessels angenommen, er glotzt etwas trüb in den Himmel, der mal blau, mal voller Sterne ist und merkt gar nicht, dass ihm der Start als mögliche Realität völlig entglitten ist. Er kann ihn nur noch theoretisch denken. Also so als Gedankenexperiment. Was wäre, WENN dieses Ding hier tatsächlich abheben würde? Keine Ahnung. Wann sollte es das doch gleich tun? Vergessen. Naja. Was war gleich die Frage? Pfffffffft... Deswegen bleibt er auch vollkommen unbeteiligt sitzen, wenn der echte Countdown beginnt. Sein Puls bleibt irgendwo an der 75 hängen, die Gedanken wandern hier- und dorthin und so am Rande bekommt er mit, dass in seinem Kopf irgendwer total penetrant rückwärts zählt."Was soll das eigentlich?" denkt er vielleicht. "Sind wir in der Sesamstraße hier?" Und sein Verdacht würde sich bestätigen, flöge in diesem Moment Super-Grobi durchs Bild. 

Der Zähler steht jedenfalls auf fünf. Das ist genau die Mitte zwischen Beginn der heißen Phase und ihrem unabwendbaren Ende. Vor der Fünf kommen neun, acht sieben und sechs. Danach nur noch die unglaublich mystischen Zahlen des Ursprungs - vier, drei zwei und eins. Dann geht es los. BOMBASTISCH, oder??? Und genau dazwischen - in der Mitte eben - hängt die Fünf. Oder sie thront und markiert das Bergfest.

Fünf. 

Komische Zahl. Irgendwie voll unterrepräsentiert. Oder? Ich meine - bei den anderen Zahlen denkt man an irgendwas. So zwei: Paar, drei: Trinität, vier: Kleeblatt oder quadrat von zwei, sechs: zwei mal drei und so weiter. Aber FÜNF? Da kommt bei mir erst mal nix. Deswegen erstmal bei Wikipedia gegoogelt. 

Als erstes steht da "Die Fünf ist die natürliche Zahl zwischen vier und sechs. Sie ist ungerade und eine Primzahl." Aha. Da komme ich noch mit. Und dann stehen da noch ganz viele andere ganz schlaue Sachen, wie 
"Pentadaktylie, die Fünfstrahligkeit oder die Fünffingrigkeit, bezeichnet die grundlegende Untergliederung der einzelnen Extremitäten der Wirbeltiere in je fünf distale, also endständige, Fortsätze." 
Boah! Da ist mir aufgegangen, dass die Fünf 'ne echt krasse Nummer ist. Nimmt man nur die Redensarten, hat sie zwar immer was mit Beschiss, Ungemach oder "Wahrheitsbeugung" zu tun: "fünftes Rad am Wagen sein", "Fünfe gerade sein lassen", "X für ein U vormachen" (wie letzteres mit der Fünf zusammengeht: Guckst du Wikipedia) ABER: Die Fünf macht es endlich möglich, Äpfel mit Birnen UND Seesternen zu vergleichen: sie sind alle fünfstrahlig strukturiert. Toll, oder? 

Jetzt kommt aber das mit Abstand Interessanteste an ihr ist ihr sprachlicher Ausnahmestatus: Sie ist neben "Hanf" und "Senf" das einzige Wort in der deutschen Sprache, das auf "nf" endet. Allein diese Erkenntnis war den ganzen vorangehenden Sermon wert.

Und was macht das jetzt mit dem Raumfahrer in der Kapsel? Keine Ahnung. Der wartet weiter auf den Start. Und hält ihn nach wie vor für unwahrscheinlich, weil er ja bis jetzt noch nicht stattgefunden hat.

Dienstag, 20. August 2013

Countdown: Sechs

Klar. Wenn man in einer Stadt lebt begegnet man Menschen. DAUERND. Diese Begegnungen reihen sich aneinander, überlagern sich, überstrahlen alles andere oder gehen einfach unter. Manche sind interessant, andere belanglos einige bedeutsam. Ein paar gehen in die Tiefe, sind verbindlich, andere bleiben an der Oberfläche und sind bedeutungslos. Dazu gesellen sich geschäftliche, absurde, banale und - jaaajaa - leider auch peinliche Begegnungen. Aber in ganz seltenen Fällen gibt es auch die wunderlichen Begegnungen. Die finde ich ja am besten.

Von der außergewöhnlichsten Begegnung meines Lebens habe ich ja schon im Zusammenhang mit Else Methner geschrieben. Die ist nicht zu toppen - zugegeben. Schade eigentlich, dass mein Leben in dieser Hinsicht schon SO früh vollendet ist... Hmm. Naja. Aber trotzdem gibt es noch andere unglaublich interessante Erscheinungen, mit denen ein Gespräch sicher aufregend gewesen wäre. Auf die eine oder andere Weise. Vielleicht auch aufreibend.

Es gibt da zum Beispiel diesen alten Mann, den ich jetzt seit knapp drei Jahren fast täglich auf unserer Straße sehe. Er steht da bei jedem Wetter, im Sommer und im Winter. Immer innerhalb eines etwa hundert Meter langen Straßenabschnittes. Immer. Ganz alleine. Trotzdem spricht er von Zeit zu Zeit oder bewegt zumindest die Lippen (ohne Head set - ich schwör'!). Manchmal wechselt er die Seite. Dazu muss man sagen, dass wir nicht in Mitte wohnen, wo sich irgendwie dauernd was Bemerkenswertes am Straßenrand abspielt. Gar nicht. Es handelt sich hier um eine einspurige Durchgangsstraße aus Brandenburg nach Reinickendorf und alle 20 Minuten kommt ein Bus. Hier steht er also wie ein Wächter in geheimnisvoller Mission.  

An der etwas schiefen, leicht gebogenen Haltung, den fahrigen Bewegungen der Arme und dem entrückten Gesichtsausdruck erkennt man schnell, dass sein Blick in die Welt sicher zu vollkommen anderen Erkenntnissen führt, als der meinige, der meiner Freunde und - ich weiß, dass das jetzt eine ungeheuer anmaßende Annahme ist, ich trau mich aber trotzdem - der der meisten anderen Menschen. Früher hätte man einfach gesagt, dass er leicht irre ist und alle hätten gewusst, wovon die Rede ist. Das darf man heute aber nicht mehr, sondern muss rumeiern und Missverständnisse in Kauf nehmen. Ich kenne den politisch korrekten Ausdruck nicht, versuche es aber einfach mal mit "ein anhaltend mental herausgeforderter Mensch". Hört sich bombig an. Oder?! Jawoll. Also weiter.

Dieser Mann steht hier nun in der gesamten Zeit, die wir hier wohnen und bewacht täglich die Straße. Oder uns. Oder wen anders. Oder er wartet beharrlich auf einen bestimmten Bus, der bisher aber noch nicht gekommen ist. Das ist fast poetisch. Möglicherweise saß in einem dieser Busse einmal die Liebe seines Lebens und er hat sie verpasst. Jetzt hofft er seit dreißig Jahren, dass sie noch einmal an ihm vorbei fährt. ... Ach nee. Das ist kitschig. 

Es ist auch denkbar, dass es ihn gar nicht wirklich gibt und er nur eine Emanation meiner überspannten Fantasie ist. Einer neutralen überspannten Fantasie, denn er sieht überhaupt nicht gefährlich, aggressiv sonstwie verkommen oder abstoßend aus. Im Gegenteil: Er trägt immer saubere Kleidung, Körper (soweit sichtbar), Gesicht und Haare sind immer sauber, letztere sogar geschnitten und frisiert. Vermutlich residiert er nachts in der nahegelegenen Diakonie, wo man für ihn sorgt und ihn nach besonders heißen oder kalten Tagen wieder aufpäppelt.

Aber jetzt zurück zu der Begegnung. Die sich in der echten Wirklichkeit - also der dinglichen Realität - natürlich nie ereignet hat. Denn sonst wüsste ich ja, warum er da steht und was seine Mission ist und das ganze Ding wäre vollkommen langweilig. Neinein. Die eigentliche Begegnung beschränkt sich auf die bloße Wahrnehmung dieses Mannes, der wie eine Spukgestalt in ein räumlich fest umrissenes Arreal gebannt ist und diese unbändige Neugier, warum er immer dort ist. Was er denkt, worauf er wartet und was er sieht. Aber mal ehrlich: Ich traue mich nicht. Wer weiß, was er mir dann sagt? Wie er reagiert?

Was würdet ihr machen? Interessiert mich ehrlich!

Vielleicht frage ich ihn wirklich noch. Wahrscheinlich wird er dann grinsen und sagen "Mensch, bin ich froh, dass Sie mich nochmal ansprechen. Ich habe mich nämlich schon seit Jahren gefragt, warum Sie jeden Tag dieselbe Strecke fahren und mich dabei immer so komisch angucken. Ich habe schon gedacht, sie wären eine Freigängerin der Diakonie. Naja. Dann hätten wir das ja glücklicherweise geklärt. Guten Umzug."

Montag, 19. August 2013

Countdown: Sieben

Blind für die schönen Seiten seiner
Stadt, wenn man sie immer vor
Augen hat? Völlig undenkbar!
Vor langer, langer Zeit war ich mal in Rom. Ich bin wie auf Droge von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten getaumelt, immer mit vollkommen verstrahltem Blick - und konnte es gar nicht fassen, dass die total doofen Römer bei der Busfahrt auf der Via dei Fori Imperiali vorbei an Forum Romanum und Kolosseum ihr Äquivalent der Bildzeitung gelesen haben und nicht beim Anblick jedes antiken Steinhaufens in frenetischen Jubel ausgebrochen sind. OK. Bin ich auch nicht. Jaaahaaa! Aber ich habe ja auch kein mediterranes Temperament. Bin eine kaltblütige Nordeuropäerin mit eher zurückhaltenden Begeisterungsbekundungen. Wenn überhaupt. Kurz: Ich verhalte mich im Süden ganz und gar erwartungsgemäß: sachlich, besonnen und vollkommen humorlos. Auf weiße Socken und Sandalen verzichte ich aber. Soviel Individualität muss sein.

Naja. Ich wollte aber über die ignoranten Römer sprechen. Leben in der großartigsten Stadt der Welt, stehen an Monumenten aus der Römerzeit und warten gähnend auf den Bus. Oder brüllen in ihr Handy. Oder machen sonst irgendwas total Triviales, was sie auch in Deutschland erledigen könnten. Ich habe mich damals gefragt, wie die Römer - also die heutigen - so mit den Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt umgehen. Ob die zum Beispiel wann immer sich die Gelegenheit bietet, mal in die Vatikanischen Museen gehen. Oder sich immer neue Perspektiven des Kolosseums erschließen. Oder ob sie sich jedes Wochenende ein anderes Monument vornehmen, um es eingehend zu studieren. Oder ob sie einfach nach Feierabend die Rollos runterlassen, sich 'n Bier holen und die Glotze anschmeißen.

Große Fragen. Damals. Heute kenne ich die Antwort. Denn ich habe in unserer Metropole gewohnt und mich ähnlich ignorant verhalten wie die Römer Italiens. Wahrscheinlich hat jeder Berlin-Tourist an einem Wochenende mehr Block-Buster gesehen als ich in knapp sechs Jahren. Die größten Versäumnisse auf meiner Liste der 100 Sehenswürdigkeiten Berlins, die man vor seinem Tod gesehen haben sollte, sind: 
  1. Reichstag von innen und oben
  2. Gedächtniskirche von innen
  3. Fernsehturm von oben
  4. Checkpoint Charlie
  5. eine echte Currywurst
Könnte schlimmer sein. Jetzt erstmal Zeitung lesen. Alles so schön bunt hier...