Donnerstag, 8. Januar 2015

Digitaler Selbstmord

Den Facebook-Account zu löschen, fühlt sich an wie Selbstmord.
Dabei sind das doch nur ein paar Bilder und Sprüche. Oder?
Ich habe es wirklich getan. Krass! Wahnsinn! War aber eigentlich ganz leicht. Vielleicht ein bischen wie Bungee. Es hat gekribbelt im Bauch und in den Fingern, der Puls ging einen Takt schneller, aber sonst ist gar nichts passiert. Dabei habe ich vorher tagelang mit mir gerungen und fieberhaft nach einer Hintertür gesucht, um diesen letzten, endgültigen Schritt zu vermeiden. Ich habe meine Arbeit, meinen Haushalt und meine Kinder - ja sogar meinen Ehemann - vernachlässigt, um belastbare Gründe zu finden, es nicht zu tun. Am Ende war das aber vergebens. Die Kiste war alternativlos. Ich habe meinen Facebook-Account gelöscht. 

Mit einem Klick war mein digitales Ich eliminiert und mit ihm der kurzweilige Kontakt zu 86 Freunden. Ich kannte alle persönlich - für die Natives: Ich bin diesen Leuten mehrmals analog begegnet, bevor es zu einer gezielten Freundschaftsanfrage auf Facebook kam. Klar - die anderen wie JenZz Oo oder El Ba gab es vorübergehend auch. Sie wurden aber schon zu einem weit früheren Zeitpunkt ins virtuelle Nirvana geschickt. 

Mein Account bestand seit Montag, dem 27. Oktober 2008 um 21:06 UTC+01. Das weiß ich so genau, weil ich mein Profil heruntergeladen habe und damit nun schwarz auf weiß die vielen Informationen überblicken kann, die ich Facebook ganz freiwillig überlassen habe. Angesichts dieser gespenstisch lückenlosen Dokumentation der letzten sechs Jahre beschleicht mich der Verdacht, dass ich schon viel früher hätte aussteigen sollen. Denn obwohl ich keine Intimitäten, Kinderfotos, Schmollmundbilder oder Urlaubsfotos gepostet habe, meinen Wohnsitz sowie Ausbildung etc. verschwieg, ergibt die Akte ein ziemlich exaktes Bild meiner Persönlichkeit. Und meiner Nutzungsgewohnheiten. Ich besitze jetzt eine vollständige Liste aller Logins und Logouts der letzten sechs Jahre, mit Datum, Uhrzeit, IP-Adresse, Browsertyp inklusive Versionskennung sowie der Bezeichnung des gesetzten Cookies. Das diese Informationen aufgezeichnet werden, war mir vorher schon klar. Ich habe es aber verdrängt. Warum eigentlich? Weil ich nicht aussteigen wollte. Ich wollte weiter mitmachen. Aber warum, wo es doch kein Geheimnis ist, dass die jedes Profil bis in die Chats durchleuchten und die ausgewerteten Daten lukrativ an ein Heer von Werbekunden verkaufen?

Zunächst ist die Sache ja sehr unterhaltsam. Man bekommt täglich eine lange Liste mit kurzweiligen Informationen frei Haus, die einem das Gefühl vermitteln, voll am Puls der Zeit zu sein, sich für trendige Sachen zu interessieren und auch selbst interessante Sachen zu machen. Selbst wenn man in der tiefsten Provinz lebt und Briefmarken sammelt. Es kommt eben nur auf die richtige Kameraperspektive an. Stimmt die, hat sogar ein neuer Maulwurfshügel einen gewissen Nachrichtenwert. Ich spreche da aus Erfahrung. Darüber hinaus kann man sich mit den zahllosen Newsfeeds ganz bequem über die neuesten Häkelmützen oder die brandaktuellen Geschehnisse in der Welt informieren. Selbstverständlich wählt man dazu die Medien, die einem am meisten liegen. Weil auch die Nachrichtenmacher Likes brauchen, posten selbst seriöse Medien wie die Zeit oder die Süddeutsche gerne solche Themen, über die man geteilter Meinung sein kann. Das ist man dann auch promt und schon geht's los: Fakten überlassen Meinungen das Feld und münden flugs in persönliche Beleidigungen. Immer. Eine recht frühe Erkenntnis bestand daher darin, dass Facebook nicht der richtige Ort ist, um sich zivilisiert in der Sache auseinanderzusetzen und andere Standpunkte zu respektieren. Hier herrscht Faustrecht. Meistens habe ich die Kommentare anderer gelesen und viel Zeit damit zugebracht, mich darüber zu ärgern. Nicht, weil sie meiner Meinung widersprechen, sondern weil sie beleidigend, meistens bar jeglichen Arguments dafür aber umso nachdrücklicher formuliert waren. Facebook bietet eine offene Bühne, die es jedem erlaubt, seine Selbst- und Weltwahrnehmung laufend zu bestätigen und Widerspruch hemmungslos niederzumachen. Ein virtueller Spiegel mit eingebautem Watschenaugust. Das ist doch was. Also ich fand's toll.

Aber warum habe ich mich dann gelöscht?

Es gibt zwei Gründe: Der Auslöser war die zum 30. Januar 2015 angekündigten Änderung der Datenschutzrichtlinien, die beinhalten, dass die Plattform mein Surfverhalten auch außerhalb Facebooks ausspäht, auswertet und die zusätzlichen Informationen zusammen mit meinen Profildaten an Werbetreibende verkauft. Wer sich ab dem 30. Januar einloggt, gibt dem Unternehmen automatisch die Erlaubnis dazu. Widerspruch ist nicht möglich. Juristen zweifeln die Rechtmäßigkeit des Vorgehens an. Aber das hilft nichts. Man kann die Datensammlung auch nicht mit ein paar Häkchen in den Privatsphäre-Einstellungen abstellen. Man kann dort nur verhindern, dass einem die Werbung tatsächlich angezeigt wird. Die Datensammlung findet trotzdem statt. Diese weitreichende Ausspähung meiner privaten oder beruflichen Webstreifzüge ist für mich inakzeptabel. Sie verstößt noch gröber als bisher gegen das Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung, weil ich nicht mehr wissen und beeinflussen kann, wer wann welche Daten über mich hat und zu welchem Zweck er sie nutzt. Vielleicht fließen meine Musikvorlieben demnächst in ein Bonitätsscoring ein? Hard Rock, Independent und Metall sind da wahrscheinlich nicht von Vorteil. Wer mehr über die neuen AGBs wissen will, kann sich hier schlau machen. Facebook selber gibt natürlich auch Auskunft, lenkt aber mit beschönigenden Formulierungen wirkungsvoll von der ungeheuren Dreistigkeit des Unterfangens ab. Ich bevorzuge daher folgende Artikel: 

Der zweite Grund für die endgültige Vernichtung meines digitalen Selbst ist ein psychologischer. Er ist in seiner Wirkung durchaus mit kaltem Entzug vergleichbar. Ich setze mich dem aber aus, weil alle sanfteren Methoden versagt haben: Es wird eine große Leere und eine starke Verzweiflung über mich kommen, möglicherweise begleitet von körperlichen Erscheinungen wie einem unsteten Blick, fahrigen Wischbewegungen auf meinem Smartphone oder diffuser Unruhe. Vermutlich werde ich erst langsam wieder lernen müssen, meine Zeit mit sinnvollen Dingen zu füllen oder mich einem einzigen Thema länger als zwei Minuten zu widmen. Der Aufenthalt auf dieser Plattform übt einen immensen Sog aus, dem ich mich schlecht entziehen konnte. Zig mal am Tag ein prüfender Blick, ob es Neues gibt - gibt es immer. Wer hat wie auf meine Beiträge reagiert? - Keiner. Totaler Frust ist dann Programm, gefolgt von der rastlosen Suche nach spannenderen Sachen. Beim Blick in die Welt poppt ständig eine Idee auf, was ich als nächstes posten könnte. Geschieht nichts, stelle mich mit der Kamera auf die grüne Wiese und warte auf den nächsten Maulwurfshaufen. Dabei klicke ich mich durch kreative Bildergalerien und teile das. Ich ärgere mich über blöde Kommentare zu Zeitungsartikeln, rassistische Posts, gähne kräftig über das hundertste Reisefoto mit Strand, Cocktail und Plamen, vertue Zeit mit der Lektüre sehr vieler Artikel zu sehr vielen Themen und stelle am Ende des Tages verzweifelt fest, dass ich unglaublich unproduktiv war. Weil es ja soviel zu gucken gab. 

Diesen Zeitfresser bin ich jetzt also los. Ebenso wie das schleichende Gefühl, ständig manipuliert zu werden. Und zwar gerade durch den Newsstream der genau aus dem besteht, was ich selbst abonniert habe. Aber eben nur aus dem. Und ich sehe auch nur die Freunde, mit denen ich sowieso schon oft interagiere. Die anderen sind gewöhnlich verborgen. Die Algorithmen liefern mir das, womit sie auf der Grundlage meiner Daten glauben, mir eine Freude machen zu können. Wenn die Algorithmen glauben könnten. Tun sie aber nicht. Sie folgen blind simplen mathematischen Regeln.

Meinen Freunden werde ich wieder analog begegnen. Oder per SMS. Da liest wenigstens nur der BND mit und die NSA. Aber wehe, wenn die auch Werbung schalten. Dann steige ich aus!

1 Kommentar: