Dienstag, 24. September 2013

Westfälische Pause - oder so...

Münsteraner Idylle: kein Fahrrad, keine Leute. Schööön!
Quelle: Stadt Münster
Während wir durch die Republik marodiert sind, haben wir übrigens auch mal drei Jahre in Münster Station gemacht. Und zwar nicht während des Studiums, sondern danach, aber vor der Familiengründung und das war das Problem. Denn Münsteraner haben für "erwachsen, aber keine Kinder" keine Kategorie, sodass sie einen entweder ignorieren oder einfach als Student behandeln. Das heißt duzen und bei vermeintlichem Fehverhalten derb zurechtweisen. Sollte man sich wehren, eskaliert die Situation sofort, also besser ruhig verhalten. Besonders wenn man kein Fahrrad besitz, nicht gebürtig aus Münster kommt und nicht katholisch ist. Doofe Klischees? Mitnichten. Versucht mal, da Kontakte zu knüpfen, ohne mit den Leuten schon im Kindergarten gewesen zu sein. Nicht möglich. Mit dem Auto in DEN KREISEL fahren - für Ortsunkundige: das ist der einzige zweispurige Kreisverkehr der ganzen Stadt und die Leute erbeben vor Angst, wenn sie davon sprechen. Böse? Nein. Tatsache - und darauf vertrauen, dass sich die Radfahrer an grundlegende Verkehrsregeln halten. HA! Das Leben in Münster ist nur als Münsteraner angenehm und Humor findet man nur im Tatort. Ich darf das sagen, denn ich will eh nie mehr dahin.

Wovon ich aber eigentlich im Nachgang zum Klassentreffen erzählen wollte, ist meine Begegnung mit der Westfälischen Pause. Dazu muss ich noch etwas weiter ausholen. Ich hatte ja schon öfter erwähnt, dass meine ganze Familie aus Berlin stammt und somit auch das entsprechende Naturell (pampig, aber herzlich) sowie die sprachlichen Gewohnheiten ("Bouletten" und "Schrippen", wa, statt "Frikadellen" und "Brötchen") mein Umfeld beherrschte, solange ich denken kann. Eigentlich berlinerte es allerorten um mich herum, sodass ich in dem festen Glauben aufwuchs, ebenfalls eher Berliner im Exil als Rheinländer im Rheinland zu sein. 

Wie sehr ich mich darin getäuscht habe, musste ich nämlich in Münster erfahren. Ich bin Rheinländer durch und durch: redselig bis geschwätzig, kontaktfreudig, gesellig und vielleicht auch ein bisschen oberflächlich dabei. Das sind dalles Eigenschaften, die mit denen der Westfalen vollkommen inkompatibel sind. Die sind - soweit ich sie kennengelernt habe - eher ruhig, man könnte auch abweisend sagen, einsilbig (oder maulfaul) und - hmmm - "träge", was die Anbahnung neuer Kontakte angeht. Um es kurz zu machen: Es hat drei Jahre gedauert, selbst OHNE KINDER, einen netten Bekanntenkreis aufzubauen.

Dennoch sind wir von Anfang an in unserer Freizeit mehr oder minder häufig mit Menschen in Kontakt gekommen. Und mit denen habe ich mich dann auch gerne unterhalten. Also - um ehrlich zu sein - ich habe sie unterhalten. Denn ich habe das gemacht, was ich in Gesellschaft immer mache, ich rede. Viel. Und mit einigen Schlenkern und Schnörkeln. OK. Mit vielen davon. Und ich persönlich finde das dann auch immer interessant. Aber irgenwann muss auch ich mal aufhören und immer genau dann kam von meinem westfälischen Gegenüber - nichts. Schweigen. Stille. Also genau das, was in einem ersten Gespräch immer besonders unangenehm und peinlich ist. Ich habe dann regelmäßig gedacht "Huuuu! Jetzt hast du wiedermal was total Doofes gesagt. Mist. Peinlich." Schnell Thema wechseln. Und dann habe ich ein neues Fass aufgemacht und wieder viel erzählt. Mit demselben Ergebnis. Stille, Schweigen. Unbehagen. 

Das hat mich belastet. Echt. Sodass ich irgendwann mal mit einer älteren Münsteranerin darüber gesprochen habe: dass ich immer rede und rede und REDE und wenn ich damit aufhöre, die Leute immer total peinlich berührt sind und schweigen. Ob sie da vielleicht einen Rat weiß. Und dann sagt die: "Das musst du nicht persönlich nehmen. Das ist hier einfach so. Wenn ein Gespräch lange genug dauert, entsteht Stille. Das ist die "Westfälische Pause". Das ist gar nicht unhöflich gemeint. Wir sind halt gerne für uns. Wenn ich dich in einer Kneipe treffen würde, würde ich mich auch nicht zu dir an den Tisch setzen, sondern woanders hin. Das machen wir hier so."

AHA.

Hat also nichts mit mir zu tun. Na dann bin ich ja beruhigt. Habe also nichts Blödes gesagt, sondern einfach nur die Redezeit ausgefüllt, sodass mein Gegenüber erstmal mit der Pause dran war. Wie unhöflich von mir, genau in dem Moment weiterzureden, in dem der Westfale eigentlich ansetzen wollte, zu antworten. Vielleicht. Auf jeden Fall ein mentalitätstechnischer Kulturschock. Habe mich in Berlin tatsächlich wohler gefühlt: pampig, aber grundsätzlich offen. Damit kann ich arbeiten.

Jetzt sollte man denken, dass mir als heimgekehrte Rheinländerin im Rheinland dann keine Westfälische Pause mehr begegnet. Bin ja nicht mehr in Westfalen. Weit gefehlt! Während des Klassentreffens ist sie mir tatsächlich hin und wieder über den Weg gelaufen. Diese peinliche Stille nach eigenen Redebeiträgen. Doof ist: Jetzt kann ich es nicht mehr auf die maulfaulen, bornierten Münsteraner schieben. Es muss an mir liegen. Wahrscheinlich habe ich einfach was echt Doofes gesagt. Naja - was solls. Einer muss das ja machen. Wäre ja sonst kein Klassentreffen...

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